Jetzt gilt es die richtigen Steuermänner zu finden
Die Pressemitteilung am Montagmorgen schlug ein wie eine Bombe. Europa League-Teilnehmer TSG Hoffenheim hat seinen langjährigen Sportchef Alexander Rosen mit sofortiger Wirkung abberufen. Die Ära Rosen endete ein Jahr vor dessen Vertragsende abrupt nach knapp 13-jähriger Tätigkeit, in denen er erst Leiter des NLZ, ab 2013 Direktor Profifußball und ab 2023 schließlich Geschäftsführer Sport gewesen war.
Denkbar ungünstiger Zeitpunkt
Auch die beiden anderen Geschäftsführer der Spielbetriebs-GmbH Denni Strich und Jan Mayer scheiden ab dem 31. Oktober aus ihren Ämtern aus. Zudem muss auch der Technische Direktor Bastian Huber, ein enger Vertrauter von Rosen, gehen. Angesichts des Zeitpunkts nur drei Wochen vor dem Bundesligastart und inmitten der heißen Transferphase sorgte diese Entscheidung bei vielen nur noch für Kopfschütteln. Den Resetknopf zu drücken und dreiviertel der Geschäftsführung an einem Tag auszutauschen sucht seinesgleichen.
Das Fass kam zum Überlaufen
Es rumorte schon seit längerem in der Führungsetage der Kraichaguer. Immer wieder war von atmosphärischen Störungen unter den Geschäftsführern zu hören. Sportchef Rosen schien das Vertrauen von Gesellschafter Dietmar Hopp verloren zu haben. Auch die ständige Debatte um die Einflussnahme bei Spielertransfers durch die Beratungsagentur Rogon, dessen Chef Roger Wittmann ein enger Hopp-Freund ist, verschärfte die Situation. Das Fass kam zum Überlaufen, nachdem sich Gesellschafter, Geschäftsführer und sportliche Leitung nicht mehr in die gleiche Richtung begaben und die erwarteten Transferaktivitäten vor der neuen Saison ausblieben.
Das Warten auf die Transfers
Während andere Vereine hier schon deutlich weiter waren, wurde eher über Ab-, als Zugänge spekuliert. Mit Ausnahme der Leihverlängerung David Jurasek von Benfica Lissabon konnten die Nordbadener vor der bevorstehenden Dreifachbelastung noch keinen einzigen Transfer in diesem Sommer vermelden. Rosen machte keinen Hehl daraus, erst Geld auszugeben, wenn Verkäufe generiert werden. Einen warmen Geldregen sollte der Verkauf des Juwels Maxi Beier einbringen. Doch auch hier gibt es noch nichts zu vermelden.
Euphorie hat einen erheblichen Dämpfer bekommen
Dennoch, der Zeitpunkt des Handelns kam viel zu spät und hätte gleich nach Saisonende erfolgen müssen. Die Gefahr eines sportlichen Fehlstarts ist jetzt nicht auszuschließen. Die ganze Euphorie, die nach der Rückkehr auf die internationale Fußballbühne nach dem 4:2-Heimsieg am letzten Spieltag über die Bayern aufkam, hat einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Die Vorfreude auf die neue Saison, wo man den Zuschauerrückgang stoppen und der Unzufriedenheit der Hardcorefans entgegentreten wollte, ist dahin.
Empörung in der Fanszene
Die Hoffenheimer Fanszene hat bereits reagiert und ihre Fassungslosigkeit öffentlich deutlich zum Ausdruck gebracht. „Nur zwei Wochen vor Saisonbeginn tritt das ein, wogegen wir Ende letzter Saison noch mit aller Kraft ankämpften. All die Leidenschaft und die Arbeit, die sowohl Alex Rosen und sein Team als auch wir als Fanszene in unseren Verein gesteckt haben, sind mit einem Schlag Geschichte“, so der Wortlaut.
„Wir können und werden derartige Zustände und Machenschaften nicht akzeptieren“
Aussage eines Teils der Hoffenheimer Fanszene
Dass die Entscheidung von ganz oben getroffen wurde, verstört die Kurvenfans ganz besonders. In einem Instagram-Post heißt es weiter: „Die Rückkehr zu 50+1 ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Wir können und werden derartige Zustände und Machenschaften durch die „Gesellschafter“ nicht akzeptieren.“
„Jetzt seid ihr zu weit gegangen!“
Spruchbanner der Hoffenheimer Fanszene
Auf einem Zaun-Banner beim Eingangsbereich des Dietmar Hopp-Sportparks in Zuzenhausen ist zudem zu lesen: „Jetzt seid ihr zu weit gegangen!“ „@TSG Gesellschafter, ihr habt einen Krieg begonnen, den ihr nicht gewinnen könnt‘!“, heißt es weiter. Doch es ist nicht das einzige Banner, mit dem die Hoffe-Fans ihrem Unmut freien Lauf lassen. Bezogen auf das diesjährige Vereinsjubiläum steht auf einem anderen Spruchband vor der PreZero-Arena: „125 Jahre TSG aufgebaut und zerstört – danke für nichts!“.
Wie reagiert jetzt die Mannschaft?
Man kann sich vorstellen, wie sich diese Nachricht auch im 500 Kilometer entfernten Kitzbühel, wo sich die Matarazzo-Truppe in dieser Woche im Trainingslager in der heißen Saisonvorbereitung befindet, von Spielern und Trainerteam aufgenommen wurde. Die Medientermine im Zillertal wurden am Montag abgesagt. Bei den Spielern wurde die völlig neue Situation intensiv diskutiert. Während Rosen sich die Fahrt am heutigen Dienstag in die österreichische Alpenregion, um sich das Testspiel gegen Norwich City (18 Uhr) in St. Johann anzuschauen, sparen kann, reisten dort der Leiter der Profiabteilung Pirmin Schwegler und Bastian Huber noch am Montag ab.
Was wird aus Schwegler?
Die Entscheidungsträger, allen voran der neue Vorsitzende der Geschäftsführung Dr. Markus Schütz, möchten nun verhindern, dass auch der Schweizer-Ex-Profi Schwegler den Klub verlässt. Angeblich soll Ligakonkurrent Eintracht Frankfurt seinem ehemaligen Profi, der dort fünf Jahre lang spielte und Kapitän war, einen Posten in der sportlichen Führung angeboten haben. Während andere Quellen bereits berichteten, dass der 37-jährige Schwegler solidarisch zu seinen Kollegen zurückgetreten sei, dementiert dies die TSG (noch). Als möglicher Ersatz wird Akademie-Leiter Frank Kramer gehandelt, um das sportlich führungslose Schiff bis auf weiteres zu manövrieren.
Vieles gilt es zu hinterfragen
Neben Gesellschafter und Mäzen Hopp ist die nach dem gesundheitlichen Rücktritt von Präsident Kristian Baumgärtner interimistische Vorsitzende des TSG 1899 Hoffenheim e.V. Simone Engelhardt in die Verantwortung gerückt. Fraglich, wie gewichtig ihr Wort bei der Entscheidungsfindung ist. Für viele war es überraschend, dass sie als Rosen-Befürworter ihm plötzlich nicht mehr zur Seite stand oder womöglich nicht mehr gehört wurde.
„Unsere Auffassungen über die künftige Ausrichtung waren am Ende zu unterschiedlich“
Simone Engelhardt
Hinterfragen sollte man auch, inwiefern Rosen & Co. bei der weiteren Kaderplanung noch freie Hand hatten. Engelhardt stellte hier am Montag die Vereinssicht klar: „Unsere Auffassungen über die künftige Ausrichtung waren am Ende zu unterschiedlich, auch mit Blick auf die anstehende Saison, in der die TSG wieder international spielt und in der Europa League antritt“.
Welche Auswirkungen hat das Ganze?
Auch wenn Trainer Matarazzo den Fokus auf die Saisonvorbereitung einfordert, dürfte es für den Italo-Amerikaner schwer werden, die sportlichen Auswirkungen von seinen Profis fern zu halten. Es ist davon auszugehen, dass das ganze Stühle rücken noch nicht beendet ist. Eine gewisse Unruhe und Unsicherheit sind nicht wegzudiskutieren.
Bringt Schütz wieder Ruhe in den Verein?
Wie geht es weiter? Kann der neue Vorsitzende der Geschäftsführung Dr. Markus Schütz, ein langjähriger Rechtsanwalt des Vereins, wieder Ruhe in den Verein bringen und die sportliche Leitung wieder komplett neu aufstellen? Spätestens als dieser von Hopp an die Spitze der Spielbetriebs-GmbH gehievt wurde, dürften bei Rosen die Alarmglocken geläutet haben.
Was wird aus Matarazzo?
Was bedeutet das Rosen-Aus für Trainer Matarazzo? Der Sportchef stand trotz Widerstandes immer hinter ihm, stärkte ihm den Rücken. Wie sicher sitzt der Trainer im Sattel, sollte ein Fehlstart erfolgen? Unterschiedliche Ansichten gab es auch zwischen Rosen und Hopp in der Personalie um den ehemaligen Akademieleiter Jens Rasiejewski, die bei dessen Trennung offen zu Tage traten.
Das sportlich führungslose Boot wieder auf Kurs bringen
Es gab und gibt viele Reibungspunkte rund um die TSG. Nur wenn jetzt schnellstmöglich das sportlich führungslose Boot in ruhige Gewässer von erfahrenen und qualifizierten Steuermänner manövriert wird, kann wieder Ruhe einkehren und der Fokus auf das sportliche Geschehen ausgerichtet werden. Man hat sich für die neue Saison 2024/25 vieles vorgenommen und erhofft. Dieses ehrgeizige Ziel sollten unter keinen Umständen in Gefahr gebracht werden. Noch all zu gut ist die Erinnerung an die Saison 2022/23, wo man nur hauchdünn dem Abstieg in die Zweitklassigkeit entronnen ist.
Fotos: Kraichagufoto, foto2press und BWA