Das Hoffenheimer Torspektakel in der Fußball-Bundesliga mit hohem Unterhaltungswert und Dramaturgie hält nach wie vor an. Die Zuschauer, vor allem bei den Sinsheimer Heimspielen, bekommen fürs Eintrittsgeld jede Menge an Abwechslung und Spannung geboten, auch wenn dabei nicht immer der Spielausgang nach ihren Wünschen und Vorstellungen erfolgt.
Aktuelles Beispiel, das 2:4 am 25. Spieltag zwischen 1899 und dem FSV Mainz 05. Da spielen die Gastgeber sich phasenweise bis zur 67. Minute, in ihrem vielleicht bis dahin besten Saisonspiel, in einen wahren Rausch, führen hoch verdient, gegen völlig überforderte und unterlegende Mainzer, mit 2:0, erarbeiten sich Chancen um Chancen zur deutlicheren Führung und verlieren am Ende, durch eigene Unnachlässigkeiten, mit 2:4. Innerhalb von nur acht Minuten drehten die Rheinhessen die Partie durch drei Tore. Das 4:2 mit der letzten Aktion in der 92. Minute war lediglich Ergebniskosmetik.
Es war ein Spiel, das auch die Protagonisten nur schwer erklären oder nachvollziehen konnten.
Beide Trainer hatten bei der Pressekonferenz Mühe eine vernünftige und treffende Spielanalyse abzugeben. TSG-Coach Markus Gisdol: „Wir waren richtig gut drauf, zeigten eine unserer besten Leistungen überhaupt und plötzlich kippt das Spiel nach dem Anschlusstreffer. Drei Tore in acht Minuten sind für mich unerklärlich und beweisen, dass wir doch noch nicht so gefestigt sind, wie ich es mir wünsche. Ärgerlich, dass wir unsere Chancen nicht besser genutzt haben. Doch sollten zwei Tore in einem Heimspiel ausreichen, um einen Sieg über die Zeit zu bringen.“
Man konnte den Eindruck gewinnen, als ob es Kollege Thomas Tuchel fast peinlich wäre, nach der teilweise schwachen Vorstellung seiner Mannschaft bis zur 67. Minute, sich als Sieger zu präsentieren. Er zeigte viel Verständnis den enttäuschten Gegner und vermied es überglückliche Siegerfreuden offen zu zeigen. Tuchel: „Wir waren bis zur 67. Minute klar unterlegen und verdient mit zwei Toren im Rückstand. Auch bei einem 0:4 hätten wir uns nicht beklagen können. Doch dann haben wir das Spiel auf eine ungewöhnliche Art gedreht. Es ist kurios und schwer zu erklären. Hoffenheim hat uns zurück gelassen, das war das entscheidende. Wir haben mit guter Mentalität das Glück erzwungen.
Zum Spielverlauf:
Wie in den letzten Heimspielen begannen die Kraichgauer mit enorm hohem Tempo und Tordrang. Bereits nach 81 Sekunden kam Kevin Volland im Laufduell mit Nikolce Noveski im Strafraum zu Fall und Schiri Daniel Siebert zeigte diskussionswürdig auf den Elfmeterpunkt. Mr. Zuverlässig, Sejad Salihovic, vergab jedoch dieses Auftaktgeschenk in seinem 150. Bundesligaspiel und drosch den Ball gut einen Meter übers Tor. Es war der erst dritte Fehlschuss des Bosniers im 28. Versuch.
Hoffenheim weiter unbeeindruckt im Vorwärtsgang mit reihenweise hochkarätigen Chancen. Allein Volland hatte in Folge drei Megachancen zur Führung, scheiterte jedoch immer am besten Mainzer, Torhüter Loris Karius. Unter Beobachtung von Bundestrainer-Assistent Hansi Flick strahlte der Allgäuer die meiste Torgefahr aus, arbeitete und rackerte unermüdlich. Seine Chancen, doch noch auf den WM-Zug nach Brasilien aufzuspringen, werden mit solchen Leistungen immer größer.
Nach 32. Minuten vergab Roberto Firmino eine Doppelchance zur längst überflüssigen Führung. Die Überlegenheit drückte sich zu diesem Zeitpunkt in 10:1 Schüsse und 5:0 Ecken für die Gastgeber deutlich aus. Die einzig erwähnenswerte Gästechance notiert aus der 36. Minute durch E.-M. Choupo Moting.
Die zweite Hälfte war nichts für schwache Nerven und zählt zu den kuriosesten dieser Saison.
Der Ex-Mainzer Eugen Polanski eröffnete den Torreigen, indem er mit gemessenen 113 Stundenkilometern per Volleyschuss die Kugel unhaltbar zur längst fälligen Führung in die Maschen schmetterte. Nur wenig später erhöhte Firmino nach technisch perfekter Ballan- und mitnahme per Distanzschuss aus 18 Meter auf 2:0. Hoffenheims Torgarant, der vor einem Duzend nationaler und internationaler Spielerbeobachter auf der Tribüne vorspielte, schlug erneut zu. Mit jedem Treffer steigen die Werte der 1899-Aktien am Brasilianer und machen ihn am Saisonende noch wertvoller und teuerer. Im Glauben des sicheren Sieges gibt es für Edelfan Franziska van Almsick auf der Logenterrasse ein Küsschen von 1899-Mäzen Dietmar Hopp.
Die TSG weiter mit Einbahnstraßenfußball in Richtung 05er Tor. In der 55. Minute lenkt Keeper Karius ein Freistossgeschoss von Salihovic mit einer Glanzparade gerade noch zur Ecke. Die Nordbadener weiter mit intensivem Pressing sowie schnellem Spielaufbau in Richtung 3:0. Das Duell „Volland gegen Karius“ erhält in der 65. Minute ein Fortsetzung, als der Schlussmann erneut eine Großchance des aktiven, quirligen Allgäuers vereitelt.
Dann die überraschende Wende. Wie aus dem Nichts heraus der Anschlusstreffer in der 67. Minute durch Choupo Moting. Ein Treffer mit Schock-Charakter, denn nur sechs Minuten später der 2:2 Ausgleich, aus der Abteilung Kuriosität. Innenverteidiger Niklas Süle trifft mit einem Befreiungsschlag Gegenspieler Benedikt Saller und von hier aus fliegt der Ball in hohem Bogen über den verdutzten Torhüter Koen Casteels ins Netz.
Das Spiel nun total gedreht und völlig auf den Kopf gestellt. 1899 zunehmend verunsichert und kopflos. Die Gäste nutzen die Phase eiskalt, erwachten endlich aus ihrer Lethargie und setzen noch einen drauf. Shinji Okazaki erhöht per Kopf aus fünf Meter auf 3:2, nachdem Sebastian Rudy und Johnson zu passiv auf der rechten Seite zur Sache gingen, Andreas Beck im Kopfballduell einen Schritt zu spät kam. Nur zwei Minuten nach der Gästeführung scheiterte Volland zum sechsten Mal im Privatduell mit Karius. Es sollte nicht sein, der U21-Nationalstürmer nunmehr im vierten Bundesligaspiel ohne Torerfolg.
Hoffe warf nun mit letztem Mut und Verzweiflung alles nach vorn. Vieles wirkte dabei kopf- und planlos.
Mit der letzten Aktion dieser denkwürdigen Partie erzielte Okazaki mit seinem zweiten Treffer, nach Salihovic-Fehler, gar noch den 2:4 Endstand.
Ein Spiel wie der Wahnsinn. Keiner der schätzungsweise 23.000 Zuschauer hatte bis zur 67. Minute einen Pfifferling auf die bis dahin völlig unterlegenen „Mainzelmännchen“ gesetzt. Unerklärlich der Leistungsabfall und das unkonzentrierte Defensivverhalten der Kraichgauer. Während die Blau-Weißen in Erklärungsnot völlig unglücklich auf dem Boden lagen, feierten die Rot-Weißen überschwänglich bis fünfzehn Minuten nach Abpfiff vor der Gästefankurve, als ob der diesjährige Karneval bei den Rheinhessen immer noch nicht zu Ende sein.
Am kommenden Sonntag gastiert 1899 Hoffenheim um 17:30 Uhr bei Bayer 04 Leverkusen. Ein Gegner, gegen den es bislang in neun Erstligaduellen zehn Niederlagen und nur ein Remis gab. Nach zwei Niederlagen in Folge und aufgrund des schweren Restprogramms sollte man sich in Hoffenheim schnellstmöglich wieder in Richtung Abstiegskampf orientieren. Der Aufenthalt in der Komfortzone Tabellenmittelfeld war nur von ganz kurzer Dauer. Die Bundesliga hat ihren Ruf, einer der brutalsten und spannendsten Ligen Europas zu sein, erneut unter Beweis gestellt.
Fotos: Kraichgaufoto und BWA