Albrecht wurde in einer emotionalen Versammlung zum neuen TSG-Vorsitzenden gewählt

Hitzige und aufgebrachte Stimmung unter den 1.100 Mitgliedern

Es war eine denkwürdige und noch lange in Erinnerung bleibende Mitgliederversammlung der TSG Hoffenheim am gestrigen Montagabend (02.09.2024) in der mit 1.100 Mitgliedern vollbesetzten Sinsheimer Dr. Sieber-Halle. In der mit Spannung und großer Medienpräsenz stattgefunden knapp vierstündigen Versammlung wurde Sinsheims ehemaliger Oberbürgermeister Jörg Albrecht zum neuen 1. Vorsitzenden des e.V. gewählt. Der 55-jährige Albrecht, der seit dem 1. September nach seinem Ausscheiden aus dem Rathaus das Amt des 1. Vorsitzenden von „Anpfiff ins Leben“ begleitet, wurde mit 273 von 445 abgegebenen Stimmen gewählt. Auf seinen einzigen Herausforderer Marvin Rotermundt, ein 29 Jahre alter gelernter Mechatroniker und angehender Ingenieur aus Dinkelsbühl, der sich als normaler TSG-Fan und nicht als Ultra outete, entfielen bei der geheimen Abstimmung 123 Stimmen.

Rosen-Entlassung wurde heftig kritisiert

Es ging hitzig zur Sache. Die Vorstandschaft wurde von einigen Fans heftig kritisiert, da wenige Wochen vor dem Saisonstart ein Umbruch in der Führungsebene eingeleitet wurde und unter anderem der langjährige Sportchef Alexander Rosen entlassen wurde. Heftige Fanproteste sowie ein Stimmungsboykott an den ersten beiden Spieltagen waren die Folge.

Auch Hopps Einflussnahme wurde bemängelt

Der Unmut der Fanszene richtete sich auch gegen Hauptgesellschafter Dietmar Hopp, dessen Einfluss auf die ausgegliederte Profiabteilung nach wie vor als groß gilt. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er die Stimmrechtsmehrheit im Sommer 2023 an den e.V. zurückgegeben hatte. Dieser wurde seit dem Rücktritt des Ex-Präsidenten Kristian Baumgärtner, der Anfang Juli noch von 186 wahlberechtigten Mitgliedern bei der ordentlichen Mitgliederversammlung einstimmig im Amt bestätigt wurde und danach angeblich aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat, interimistisch von der 2. Vorsitzenden Simone Engelhardt angeführt.

Simone Engelhardt nahm Stellung

Engelhardt nahm zu den Vorkommnissen ausführlich Stellung

Engelhardt ging zu Beginn der Versammlung in einer fast halbstündigen Stellungnahme zu den Vorkommnissen der letzten turbulenten Wochen ausführlich ein und versuchte die Sachlage deutlich darzustellen. Dabei erläuterte sie ihre nicht unwesentliche Rolle bei der Abberufung des langjährigen Sportchefs Alexander Rosen, was zur tiefen Spaltung im Verein führte sowie das Verhältnis und die Zusammenhänge zwischen e.V. und Spielbetriebs GmbH. Engelhardt sagte zur Trennung der sportlichen Leitung, dass durch das ständige „Auf und Nieder“ die Erwartungen der Sponsoren und Partner nicht erfüllt wurden und die nötige Harmonie im Führungsteam der GmbH nicht zum Besten stand.

„Das Vertrauen in die sportliche Leitung schwand“

Simone Engelhardt

Die SAP-Mitarbeiterin, die in einem Arbeits- und Freundschaftsverhältnis zu Dietmar Hopp steht, weiter: „In der Zeit nach Trainer Julian Nagelsmann hat die Spielweise gelitten, die Zuschauerzahlen sind zurückgegangen und trotz der Qualifikation zur Europa League, ist die vergangene Saison nicht besonders rühmlich, der Saisonverlauf war eher zum Haareraufen. Das Vertrauen in die sportliche Leitung schwand, es gab zu wenig Konstanz und zu wenig attraktiven Fußball.“

Die Nervosität der Gesellschafter nahm zu

Ebenso stieg die Nervosität der Gesellschafter, weil in den ersten Wochen des Transferfensters keine zufriedenstellenden Vorschläge für Verstärkungen gekommen seien. Deshalb war Ende Juni ein Neuanfang unumgänglich. Wenn man den Ausführungen der 2. Vorsitzenden genau zuhörte, dann wurde deutlich, dass auch sie mit Rosens Arbeit nicht zufrieden war.

„Die Führung der GmbH obliegt grundsätzlich alleine der Geschäftsführung der GmbH

Simone Engelhardt

Auch zu den Vereinsstrukturen nahm sie ausführlich Stellung: „Die Führung der GmbH obliegt grundsätzlich alleine der Geschäftsführung der GmbH. Der Gesellschafterversammlung stehe das Recht zu, die Geschäftsführer zu bestimmen oder eben abzuberufen. Der e.V. als Gesellschafter ist nicht in die täglichen Abläufe der GmbH, trotz der Rückgabe der Mehrheit der Stimmenanteile an den Verein, involviert“, so Engelhardt. Zum Abschluss ihres Vortrages machte sie auch deutlich, dass sie nach dem ganzen „Shitstorm gegen ihre Person“ nicht als Erste Vorsitzende kandidiere wollte, auch weil sie das Gefühl hatte, nicht von allen gewollt zu sein.

Versammlungsleiter Helmut Kuhr

Keine geordnete Versammlungsführung

Der anschließend von der Vorstandschaft vorgeschlagene Antrag, mit Helmut Kuhr einen Versammlungsleiter zu benennen wurde angenommen, was aber nicht dazu führte, dass es dadurch geordneter und sachlicher weiterging. Ein anschließend vorgebrachtes Misstrauensvotum gegen die Übergangschefin Engelhardt fand unter den Mitgliedern keine Mehrheit. Nachdem einige der eingereichten 40 Anträge abgearbeitet bzw. darüber bestimmt wurde, folgte die Vorstellung der beiden Kandidaten mit anschließender geheimer Wahl.

Eine von zahlreichen Abstimmungen der stimmberechtigten 478 Mitgliedern

„Zu jeder guten Demokratie gehöre oppositionelle Arbeit“

Marvin Rotermundt

Rotermundt, der im Vorfeld anonym bleiben wollte, um ausschließlich nur zu den Mitgliedern zu sprechen sagte bei seiner Vorstellung: „Vor drei Wochen konnte ich mir noch nicht ausmalen, dass ich heute hier stehe. Zu jeder guten Demokratie gehöre oppositionelle Arbeit.“ Gleichzeitig betonte er auch, dass er sich wenig Chancen bei der Wahl ausrechne: „Ich weiß nicht, ob ich der richtige Mann für diesen Job bin, wahrscheinlich nicht, aber ich weiß, wer nicht der richtige Mann ist, nämlich mein Gegenkandidat“

Sprechchöre gegen Albrecht

Daraufhin skandierten einige Anwesende im Saal, die Albrechts Nähe zu Vereinsmäzen Hopp kritisch sehen, mit „Albrecht raus“ und „keine Stimme für Albrecht“. Die Stimmung war im Gegensatz zu den bisherigen harmonischen Versammlungen jetzt besonders aufgeheizt und emotional, auch als Albrecht das Wort erteilt wurde. Nachdem dieser versuchte die Emotionen etwas zu beruhigen erklärte er seine Beweggründe für die Kandidatur. Dabei machte er auch deutlich, dass der Vorwurf unbegründet sei, dass die TSG für ihn als Kind des SV Sandhausen nur seine „zweite Liebe“ sei. Er werde als Sandhäuser zwar seine Heimat nicht verleugnen, ist aber seit vielen Jahren ein glühender Fan der TSG Hoffenheim.

Der neue 1. Vorsitzende Jörg Albrecht richtete einen Appell an seine Gegner

Albrecht zum Dialog mit seinen Gegnern bereit

Nachdem einige Mitglieder eine geheime Abstimmung beantragt hatten, dauerte es eine ganze Weile, ehe die Stimmenauszählung erfolgt war. Aufgrund der außergewöhnlichen Länge der Versammlung hatten sich schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses einige Mitglieder zur späten Stunde auf den Nachhauseweg gemacht.
Nachdem Albrecht nach der deutlichen Stimmenmehrheit das Amt als neuer erster Vorsitzender angenommen hatte, bot er einen baldmöglichen Dialog mit den Ultras und Rotermundt an, damit vieles ausgeräumt und wieder Ruhe im Verein einkehren werde.

„Wir alle wollen schönen Fußball mit Unterstützung der Fans in einer gute besuchten Arena“

Jörg Albrecht

Der neue Erste Vorsitzende sagte nach Versammlungsende gegenüber der Presse: „In der Emotionalität war es heute okay, vor allem wenn man jetzt erkennen könne, dass das mit dem heutigen Abend dann erledigt ist und mein Gesprächsangebot von der Fanszene angenommen wird. Wir sollten das Ganze perspektivisch verbessern und zu dem zurückkehren, was wir alle wollen: Schönen Fußball mit Unterstützung der Fans in einer gute besuchten Arena. Wichtig ist, dass man miteinander spricht, das man respektvoll aufeinander zugeht und man die notwendige Anerkennung und Wertschätzung für gegenteilige Meinungen aufbringt.“

Der neue dreiköpfige Vorstand des TSG Hoffenheim e.V.: Von links: Jörg Albrecht, Simone Engelhardt und Frank Engelhardt

Kehrt jetzt wieder Ruhe im Verein ein?

Doch wer die geladene, aufgebrachte und teils chaotische Stimmung im Saal mitverfolgte, dem dürfte schnell klargeworden sein, dass dies ein schwieriges und langwieriges Unterfangen werden dürfte. Im Sinne aller, sollte dennoch jetzt schnellstmöglich wieder Ruhe im Verein einkehren und alle vernünftig und gemeinsam wieder an einem Strang ziehen – auch wenn es einigen aufgrund der letzten Vorkommnisse momentan noch schwer fallen dürfte.

Fotos: Kraichgaufoto und BWA

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