„Brasilien wird sich gegen die Rolle des Favoriten nicht wehren können“ – Teil 2

Trainerassistent und künftiger DFB-Sportdirektor Hansi Flick im ausführlichen WM-Interview – Teil 2
Kurz vor Beginn der FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, stand uns Nationalmannschafts-Assistenztrainer Hansi Flick in einem ausführlichen und informativen Interview Rede und Antwort. Wir haben das umfangreiche Interview in drei Teile aufgeteilt und werden, nach dem gestrigen Auftakt, dem heutigen zweiten Teil, morgen fortsetzen, rechtzeitig vor dem Startschuss der WM in Brasilien.

Die Erwartungshaltung in Deutschland ist, wie bei jedem großen Turnier, wieder sehr groß. Der letzte Titelgewinn bei der Europameisterschaft in England liegt schon 18 Jahre zurück.
Hansi Flick: Ich habe neulich eine interessante Studie gelesen aus der hervorgeht, dass die Deutschen vor allem die Erwartung haben, dass wir in Brasilien würdige Vertreter Deutschlands sind, dass wir mit Freude, Spaß und Respekt auftreten. Vielleicht haben die Fans ein viel besseres Gespür dafür, wie schwer es ist, einen Weltmeistertitel in Brasilien zu gewinnen, als immer behauptet wird. Bis heute ist noch kein Fan an mich herangetreten, mit der direkten Forderung, dass wir Weltmeister werden müssen. Natürlich wünschen sich die Fans den Titel, und natürlich wollen wir alles tun, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Wir haben diesen Wunsch doch alle. Wir fahren mit dem Ziel nach Brasilien, Weltmeister zu werden. Wir fahren auch mit dem Selbstvertrauen nach Brasilien, dass wir Weltmeister werden können. Aber um dieses Ziel zu realisieren, müssen viele Faktoren zusammen passen, auch solche, die wir nicht beeinflussen können. Dazu zählt auch das Quäntchen Glück, das man für solche Siege braucht. Auch vor dem Hintergrund des Talents und der Arbeit in anderen Nationen finde ich es respektlos, alles andere als den Titel als große Enttäuschung zu bezeichnen.

In Brasilien erwarten Sie völlig andere klimatische Bedingungen. Die Art Fußball zu spielen, wird daher anders sein.
Hansi Flick: Brasilien ist nicht gleich Brasilien. Es gibt dort mehrere Klimazonen, teilweise sind auch dort die Temperaturen gemäßigt. Aber in den Regionen mit großer Hitze und Luftfeuchtigkeit, werden diese Bedingungen selbstverständlich Einfluss auf die Art des Fußballs haben. Generell gilt: wir werden die Bedingungen so annehmen, wie sie sind. Es gibt kein Lamentieren, wir stellen uns auf Brasilien komplett ein.

Sehen Sie die favorisierten Brasilianer, durch die große Erwartungshaltung im eigenen Land, einem besonders großem Druck ausgesetzt, der sich womöglich sportlich negativ auswirken könnte?
Hansi Flick: Völlig klar ist, dass bei der WM in Brasilien der Druck bei den Gastgebern liegt. Noch mehr, seit sie vor einem Jahr den Confed Cup gewonnen haben. Bei der Generalprobe haben sie aber gezeigt, dass mit dieser Rolle gut umgehen können. Ich glaube nicht, dass wir oder andere Nationen die Hoffnung haben können, dass sich der Druck negativ auf die Selecao auswirken wird.

Der DFB hat sich bei der Quartierauswahl etwas ganz besonderes ausgedacht. Was waren die Beweggründe für diese Unterbringung?
Hansi Flick: Klima, Logistik, Qualität und Atmosphäre. Die wird dort besonders sein. Das Campo Bahia in der Nähe von Porto Seguro hat den großen Vorteil, dass wir dort ähnliche klimatische Verhältnisse haben wie in den Spielorten der Vorrunde. Außerdem sind Flugzeiten von Porto Seguro in die Spielorte vergleichsweise kurz. Hinzu kommt, dass wir die bauliche Anordnung des Campo für ideal halten. Wir haben dort kurze Wege, vieles spielt sich auf einem zentralen Platz ab. Wir laufen uns dort ständig über den Weg, für die Gruppendynamik ist das von Vorteil. Das Campo ist aber nicht so klein, dass man nicht auch ausweichen könnte, es gibt dort auch Rückzugsmöglichkeiten. In Summe haben wir dort optimale Bedingungen, auch mit dem Trainingplatz, der in unmittelbarer Nähe des Campo liegt.

Welche Maßnahmen werden in Erwägung gezogen, um zwischen den WM-Spielen keine Langeweile aufkommt?
Hansi Flick: So groß sind die Wartezeiten schon deswegen nicht, weil wir immer bereits 48 Stunden vor Spielbeginn zum Spielort fliegen. Aber unabhängig davon habe ich vor Langeweile oder einem Lagerkoller keine Angst. Wir leben dort direkt am Strand, schon das wird für die nötige Gelassenheit sorgen. Dort werden wir auch einen Beachvolleyballplatz haben. Im Campo selber haben die Spieler viele Optionen, wir haben dort Darts, Tischtennis, Billard, eine Boulebahn.

Wer ist für Sie der große WM-Favorit? Welcher Spieler könnte zum großen WM-Star avancieren?
Hansi Flick: Wie gesagt: Der Druck liegt bei den Gastgebern, Brasilien wird sich gegen die Rolle des Favoriten nicht wehren können. Generell werden alle Mannschaften aus Südamerika auf ihrem Heimat-Kontinent besonders motiviert sein. Es gibt einige Spieler, die das Potenzial haben WM-Star zu werden. Mit Sicherheit auch einige in unserer Mannschaft. Mit Lukas Podolski und Thomas Müller haben wir im Übrigen bei den letzen beiden Weltmeisterschaften jeweils den besten jungen Spieler gestellt. Warum sollte sich das nicht wiederholen?!

Foto:BWA

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