Seinen Einstieg ins Profigeschäft bezeichnete Hoffenheims neuer Bundesligatrainer Julian Nagelsmann, gegenüber achtzehn99.de, als „ordentlich“. Im folgenden Interview mit der Vereinshomepage spricht der 28-Jährige über seine ersten Tage als Cheftrainer, Spaß und Unterschiede zwischen Profi- und Jugendfußball.
Kommst du momentan noch zur Ruhe?
Julian Nagelsmann: Es gibt momentan tatsächlich nur wenige Phasen, in denen ich wirklich Ruhe für meine Familie und mich habe. Ich muss die Mannschaft Tag für Tag vorbereiten, arbeite intensiv auf und neben dem Platz mit meinem Trainerteam. Dazu kommt die Prüfungsphase für den Fußballlehrer, für die ich Vorbereitungszeit brauche, um gute Ergebnisse zu erzielen. Der Anfahrtsweg nach Hennef ist auch nicht der kürzeste, also bin ich viel im Auto unterwegs. Diese Zeit fehlt mir natürlich, um Dinge vorzubereiten oder zu lernen. Von daher ist es gut, dass mir der Verein derzeit den Rücken frei hält und ich außer rund um den Spieltag noch keine Interview-Termine habe. Die mediale Nachfrage ist groß und ich könnte rund um die Uhr mit Reportern sprechen. Aber jetzt geht es erstmal darum, die Ausbildung gut über die Bühne zu kriegen und parallel den wichtigsten Job, den als Bundesligatrainer, erfolgreich zu gestalten.
Wie hast du deine ersten Tage als Cheftrainer erlebt?
Nagelsmann: Das Team war von Beginn an sehr offen und wissbegierig. Ich habe das Gefühl, dass meine Inhalte bei der Mannschaft ankommen. Kurzum: Ich bin mit dem bisherigen Verlauf zufrieden, denn die beiden Liga-Spiele liefen auch schon recht ordentlich, vor allem gegen Mainz habe ich viele gute Dinge gesehen.
Wieviel von dem, was du an Neuem ins Team tragen möchtest, hat die Mannschaft schon verinnerlicht?
Nagelsmann: Wir haben aggressiv verteidigt, hatten viele Balleroberungen. Die Umschaltsituationen haben wir dagegen noch nicht alle ideal ausgespielt. Wir hätten gegen Mainz mehr Tore machen müssen. Deshalb wurde es am Ende auch nochmal spannend. Aber die Jungs saugen sehr, sehr viel auf und ich merke auch, dass sie viel Freude daran haben, diese Art von Fußball zu spielen.
Wie hast du dein erstes Heimspiel erlebt?
Nagelsmann: Es war ein tolles Erlebnis – vor allem durch den Sieg. Ich war einen Tick angespannter als beim Auswärtsspiel in Bremen. Ich wollte unbedingt zuhause gewinnen, um uns, aber auch die Fans zu belohnen, die immer wieder ins Stadion kommen und uns unterstützen. Das ist uns geglückt. Es war sehr emotional und am Ende spannender als es hätte sein müssen.
Wie gefällt dir dein neues Arbeitsumfeld „Bundesliga“?
Nagelsmann: Ich habe die Bundesliga ja schon als Co-Trainer erlebt. Aber wenn das Spiel losgeht, ist es ähnlich wie an der Seitenlinie im Jugendbereich. Man fokussiert sich auf das Spiel, auf die Spieler, die auf dem Feld stehen, auf den Ball, auf das Wesentliche. Das Drumherum versuche ich auszublenden. Wenngleich einen die Fans natürlich pushen. Klar, es ist eine irre Sache und ein Privileg, dort arbeiten zu dürfen. Du hast zwar Druck, aber den will man auch irgendwie spüren. Deshalb haben wir Trainer uns ja alle für diesen Job entschieden.
Ist dein Start als Trainer einfacher, weil du die Begebenheiten der TSG und auch das Team um dich zuvor gekannt hast?
Nagelsmann: Wir haben zwar viele Mitarbeiter, aber ich kenne die meisten in der Tat schon und andersherum ist es ähnlich. Das erleichtert den Einstieg natürlich. Das gilt auch für den sportlichen Bereich. Ich habe vorab viele Bundesliga-Spiele der TSG gesehen, auch als noch nicht feststand, dass ich im Sommer übernehmen würde. Ich war häufig im Stadion, konnte mir ein Bild von jedem Spieler machen, von der gesamten Mannschaft. Damit habe ich einen zeitlichen Vorteil, musste mir nicht erst alles anschauen, sondern konnte direkt mit der Arbeit beginnen.
Gibt es Spiele in der Bundesliga, auf die du dich besonders freust?
Nagelsmann: Für uns ist jetzt jedes Spiel ein Highlight. Wir haben einen herausfordernden Job vor uns, wir müssen Spiele gewinnen. Da gibt es keine Partie, auf die ich mich besonders freue. Ich bin gespannt auf alle und versuche jedes Spiel bestmöglich mit meinem Team zu gestalten.
Warum ist Spaß auf dem Platz momentan so wichtig?
Nagelsmann: Die Situation mit den wenigen Punkten ist schon erdrückend genug. Es ist wichtig, sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass Fußball etwas Schönes ist und Spaß macht – trotz des Erfolgsdrucks, trotz der Punkte, die wir erzielen müssen. Das muss einem immer wieder bewusst sein und dann kommt der Spaß von ganz alleine.
Deine Karriere als Spieler war verletzungsbedingt früh beendet. Hast du jemals an etwas anderes gedacht als Trainer zu werden?
Nagelsmann: Kurz nach meiner Entscheidung, nicht mehr Fußball zu spielen, wollte ich erstmal nichts mehr mit diesem Sport zu tun haben. Ich habe angefangen, bis zum Vordiplom BWL zu studieren und wollte in die Vertriebsbranche. Dann kam aber das eine zum anderen, ich wurde Co-Trainer bei 1860 München und habe Gefallen daran gefunden. So bin ich dann doch wieder schnell in den Fußball gerutscht, ohne es geplant zu haben und ich war direkt wieder infiziert. Die Arbeit als Trainer war damals wie eine Ersatzbefriedigung, weil ich selbst nicht mehr spielen konnte.
Vor knapp zehn Jahren hat deine Trainerkarriere begonnen – was hat sich seitdem für dich verändert? Was an der Arbeit eines Trainers?
Nagelsmann: Das öffentliche Interesse hat sich natürlich sehr verändert. Zu Beginn meiner Trainerzeit haben sich wenige Leute für meine Arbeit interessiert. Jetzt deutlich mehr. Dazu kommt der Druck, der früher auch nicht in dieser Form da war. Früher ging es für mich in erster Linie darum, die Spieler auszubilden, heute ist es eine Mischung aus Erfolgsdruck, Umgang mit den Medien und der Arbeit mit dem Team. In der täglichen Trainingsarbeit hat sich dagegen nicht so viel verändert.
Mit deinem Amtsantritt bei der TSG sind auch unsere Youngster Philipp Ochs und Nadiem Amiri wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Weil du sie aus der Jugend kennst?
Nagelsmann: Ich weiß natürlich, wie die beiden ticken, welche Art von Spieler sie sind, was ihre Stärken, was ihre Schwächen sind. Ich habe sie beide sehr lange trainiert und habe da einen detaillierten Blick. Das war mit Sicherheit aber nicht der Hauptgrund, warum sie gespielt haben. Ich kenne alle anderen Spieler auch sehr gut. Unsere Aufstellung ist auch immer abhängig vom Gegner. Zuletzt wollten wir viele Offensivkräfte auf dem Feld haben, damit wir Tore erzielen und Spiele gewinnen können. Da passten beide gut.
Sind junge Spieler heute besser auf den Profifußball vorbereitet als früher?
Nagelsmann: Natürlich ist der Sprung aus der Jugend in den Profibereich immer noch groß. Aber in unserem Nachwuchsleistungszentrum werden die Jungs neben der schulischen Ausbildung sehr gut auf die sportlichen Herausforderungen vorbereitet. Es wird früh sehr viel Wert auf Taktik gelegt und auf nationaler Ebene lernen die Nachwuchsspieler dann bereits mit Druck umzugehen – in den Spielen um die Deutsche Meisterschaft. Da steigen die Zuschauerzahlen und das mediale Interesse, Kamerateams begleiten die Spiele, der Erfolgsdruck wächst. Das sind Erlebnisse, die prägen und darauf vorbereiten, wie es später im Profibereich sein könnte.
Wenn Nachwuchsspieler bei den Profis mittrainieren, nennen sie als auffälligsten Unterschied meist die viel höhere Passschärfe. Was ist die größte Umstellung im Vergleich zu Juniorenteams aus Trainersicht?
Nagelsmann: Man muss sich daran gewöhnen, dass Fehler in der Bundesliga sehr viel schneller bestraft werden. Im Jugendbereich sind Patzer nicht immer so folgenschwer. Das ist in der Bundesliga anders und das bekommt man gerade im hinteren Drittel der Tabelle natürlich schnell und deutlich zu spüren. Da muss man auch die Herangehensweise und das Risiko im Verteidigen anders angehen, das heißt, man muss mehr auf Torsicherung aus sein.
Am Sonntag spielt ihr beim BVB. Tolle Atmosphäre, schweres Spiel. Was ist für die TSG drin und welche Erwartungen hast du an dein Team?
Nagelsmann: Es wird ein schweres Spiel vor einem Wahnsinns-Publikum. Das Stadion ist immer ausverkauft. Der BVB spielt sehr variabel, wir müssen auf sehr viel gefasst sein. Wir haben dennoch die Erwartungen, dass wir etwas mitnehmen wollen. Wir fahren nicht dorthin, um möglichst wenig Gegentore zu bekommen. Wir möchten definitiv etwas mitnehmen. Wieviel das sein wird, hängt natürlich davon ab, wie mutig wir sind, wie unsere Tagesform ist und wie fit der BVB nach seinem Europa-League-Spiel in Porto ist. Wir fahren mit dem Wissen nach Dortmund, dass es nicht selbstverständlich ist, dort zu gewinnen, aber wir wollen es trotzdem – wie in jedem anderen Spiel auch.
Foto: Kraichgaufoto
Quelle: achtzehn99.de