Die Kritik wird zunehmend lauter

Hoffenheim kommt auch nach dem Re-Start nicht von der Stelle

Die TSG Hoffenheim rangiert nach dem 1:1-Unentschieden bei Schlusslicht SC Paderborn nach 27 Spieltagen weiterhin im Bundesliga-Mittelfeld. Die Kraichgauer belegen nach 10 Siegen, 6 Unentschieden und 11 Niederlagen mit 36 Punkten Platz 9. Eine gesicherte Positionierung mit dickem Polster nach unten und nach oben. Angesichts der letzten Resultate – vor und nach der Corona-Zwangspause – wirkt es nahezu verblüffend, dass nach sieben sieglosen Spielen der Abstand zu den finanziell lukrativen Europaplätzen bei nur drei Punkten Rückstand immer noch in Reichweite ist. Dies hängt größtenteils auch mit der fehlenden Konstanz und den Leistungsschwankungen der Konkurrenz zusammen. Von Europa will TSG-Trainer Alfred Schreuder derzeit zurecht nichts wissen: „Wir brauchen nicht über Europa sprechen, wenn wir unnötig Spiele verlieren.“ Der Niederländer sagte dies nach der 0:3-Heimniederlage gegen Hertha BSC, der bereits Achten der laufenden Saison.

Die Schwachstellen bleiben

Die beiden Partien nach dem Re-Start gegen Berlin und Paderborn offenbarten die gleichen Schwachstellen, die im Anschluss recht unterschiedlich und teils selbstkritisch analysiert wurden. In einem waren sich die Protagonisten einig: Die Chancenverwertung wurde ebenso bemängelt wie die leichtfertigen Defensivfehler, die den Gegnern einfache Torerfolge ermöglichen und so die Mannschaft um den Lohn bringt.

Florian Grillitsch versucht Ordnung ins Hoffenheimer Mittelfeld zu bringen

Defensivdefizite

Bei der letzten Defensivreihe ist man immer noch auf der Suche nach der Idealbesetzung. Ob Benjamin Hübner, Stefan Posch, Kevin Akpoguma, Ermin Bicakcic oder Havard Nordtveit – keiner wirkt so richtig sattelfest. 47 Gegentreffer nach 27 Partien sind deutlich zu viel. Fünfmal verlor man bereits mit mindestens drei Toren Unterschied. 34 Heim-Gegentreffer sind der mit Abstand schlechteste Ligawert.

Fehlende Durchschlagskraft in der Offensive

Während im Mittelfeld ein gepflegtes Passspiel mit viel Ballbesitz aufgezogen wird und mit dem Duo Florian Grillitsch/Sebastian Rudy eine doppelte defensive Absicherung installiert wurde, wirkt die Offensive alles andere als torgefährlich und vor allem treffsicher. Zehn Treffer in zehn Rückrundenspielen sprechen nicht gerade für Offensivpower der Marke Hoffenheim. Zum Vergleich waren es in der Hinrunde gegen die gleichen Gegner noch 14 Treffer. Dies sollte man nicht nur am Fehlen der Verletzten Andrej Kramaric, Sargis Adamyan und Ishak Belfodil festmachen, wobei Letzterer mit Sicherheit nicht mehr das blau-weiße Hoffe-Trikot überstreifen wird.

Ermin Bicakcic, der in Paderborn den Gegentreffer verschuldete, sprach nach dem Abpfiff Klartext

Schlechte Chancenverwertung und fehlender Killerinstinkt

Nach dem Berlin-Spiel wurde das 0:3 noch schöngeredet: Von Dominanz, besseren Chancen, mutigerem, gutem Fußball war zu hören. Nach dem Remis gegen Neuling Paderborn hörte sich dies schon deutlich selbstkritischer an. Nationalspieler Rudy: „Ich ärgere mich über das Ergebnis. Wir hatten viele Torchancen und sehr viel Spielkontrolle. Die Chancenverwertung ist aktuell nicht gut genug.“ Torhüter Oliver Baumann: „Wir betreiben viel Aufwand, investieren viel Energie auf dem Platz, aber wir belohnen uns nicht dafür und am Ende steht es dann unentschieden. Uns fehlt der Killerinstinkt vor dem Tor.“ Deutlich wie immer auch Ermin Bicakcic: „Wir müssen wir uns einfach noch weiter entwickeln, müssen mehr von uns fordern, auch jeder von sich individuell. Wir wissen um unsere Qualität, aber es geht darum, sie wirklich auf den Platz zu bringen. Wir haben als Mannschaft oft genug Moral gezeigt, dann muss man auch ehrlich nach solchen Spielen sein, dass das Ergebnis nicht unserem Anspruch gerecht wird.“

Trainer-Sichtweise wird von Fans hinterfragt

Bei den Aussagen von Trainer Schreuder kann man das Gefühl bekommen, als ob er sich vor seine Schützlinge stellt und vieles lieber ins positive Licht stellt, als es offen und schonungslos kritisch anzusprechen. Sein Fazit bei der Pressekonferenz nach dem Spiel: „Wir haben ein sehr gutes Auswärtsspiel gemacht. Wir können uns heute Vorwürfe machen, dass wir nicht gewonnen haben, aber die Mannschaft spielt sehr gut Fußball. Wir hatten zehn Großchancen, haben 18 Mal aufs Tor geschossen und sind 43 Mal ins gegnerische Drittel gekommen. Das ist sehr, sehr gut. Ich bin mit der Entwicklung der Jungs sehr zufrieden, wir erspielen uns viele Großchancen, daran müssen wir anknüpfen und sollten nicht auf die Tabelle schauen“. Diese Aussagen wurden von vielen eingefleischten Hoffe-Fans in den sozialen Netzwerken kritisch bewertet. Von Schönrederei, Alibi-Aussagen, fehlendem Spielsystem, falschen Aufstellungen und stagnierender Entwicklung der Mannschaft war vielfach zu lesen. Der Unmut und die Unzufriedenheit werden vor allem in Zeiten von Geisterspielen, wo der Fan nicht aktiv am Geschehen teilnehmen kann, immer größer. Viel schlimmer noch, wenn aus den vielen Kommentaren Desinteresse und immer größer werdende Distanz zum Geschehen vernehmbar sind. Gerade dies wäre für das alles andere als zuschauerverwöhnte Hoffenheim in der Nach-Corona-Zeit fatal. Die Aussagen hinsichtlich der „positiven Entwicklung und des sehr guten Fußballs“ stehen in keinem Verhältnis zum Ertrag. Dass sich der Fußballfan an Ergebnissen orientiert, ist nichts Neues, und da führen sieben sieglose Partien eher zu Kritik als zu Schönrederei.

Stimmung und Erwartungshaltung haben sich geändert

In den Fanlagern wird die Stimmung zunehmend rauer und kritischer. Spult man etwas zurück in den vergangenen Sommer, wurde nach den Abgängen von Trainer Julian Nagelsmann und vier Leistungsträgern sowie zwei internationalen Spielzeiten von allen Seiten die Erwartungshaltung deutlich zurückgestuft. Nach positiven und teils glücklich zustande gekommenen Resultaten in der Hinrunde sind die Begehrlichkeit und Erwartungen wieder sprunghaft gestiegen, der Blick nach Europa kam auch in der Nach-Nagelsmann-Ära überraschend wieder in Sichtweite.

Ist die TSG überhaupt reif für Europa?

Jetzt, sieben Spieltage vor Saisonende, muss man sich berechtigt die Frage stellen: Ist Hoffenheim überhaupt reif für Europa? Die schlechte Heimbilanz und aktuelle sportliche stagnierende Entwicklung sprechen nicht gerade dafür. Hoffnung macht, dass - abgesehen von den Top-Klubs München, Dortmund, Leverkusen, Leipzig und Gladbach - es den Verfolgern ebenso an Konstanz fehlt. Davon könnte die TSG letztendlich profitieren, was ihr aber momentan äußerst schwer fällt. Nach den nächsten drei Partien gegen die Karnevalshochburgen Köln (27.5.), Mainz (30.5.) und Düsseldorf (6.6.) wird sich der tatsächliche Entwicklungsstand offenbaren. Der derzeit leidgeplagte TSG-Fan wird die Leistungen und anschließenden Aussagen mit Sicherheit dann noch kritischer bewerten.

Fotos: Kraichgaufoto

TSG-Trainer Schreuder

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