„Wir sind momentan kein Top-Team“

Selbstkritische Stimmen nach dem 1:1 in Stuttgart

Es dauerte lange, bis die TSG-Profis nach dem 1:1-Unentschieden in Stuttgart aus der Kabine kamen und sich in der Mixed-Zone den Fragen der Medienvertretern stellten. Während einige Hoffenheimer mit hängenden Köpfen grußlos von der Spielerkabine durch die Interview-Zone direkt zum Mannschaftsbus schlichen, stellten sich mit Stefan Posch, Kerem Demirbay, Ermin Bicakcic und Oliver Baumann wenigsten vier Profis den Frage-Stellern. Dabei nahm Nationalspieler Demirbay kein Blatt vor den Mund und analysierte die aktuelle Situation sachlich und treffend: „In der Box verteidigen wir derzeit überhaupt nicht gut. Gefühlt bekommen wir jede Woche unnötige Gegentore. Diese dürfen uns aber nicht passieren, wenn wir erfolgreich spielen möchten.“

Das Problem zieht sich durch die ganze Saison

Doch auch im Offensivspiel sieht der Confed-Cup-Sieger von 2018 viel Verbesserungspotenzial: „Es zieht sich durch die ganze Saison, dass wir unser Torchancen nicht so nutzen, wie wir es normalerweise noch bis vor zwei Jahren gemacht haben. Wir müssen uns aber auch nicht in die Tasche lügen. Wir sind momentan kein Top-Team und müssen in vielen anderen Dingen einfach abliefern. Das ist reine Kopfsache.“ Dafür sieht der 25-Jährige die bevorstehende Pause als sehr nützlich: „Die Länderspielpause ist jetzt gut, um einfach mal runterzufahren, gewisse Dinge klar zu sehen, selbstkritisch zu sein und sich selbst nicht in die Tasche zu lügen. Ich glaube das ist jetzt wichtig.“ Das Saisonziel „Internationaler Wettbewerb“ sieht der Mittelfeldspieler aber dennoch in Reichweite: „Es ist noch alles machbar. Wir haben in der letzten Saison erst am letzten Spieltag die Champions League erreicht. Deshalb ist es noch möglich, auch wenn es definitiv schwierig wird. Das Schöne im Fußball ist, dass es Höhen und Tiefen gibt. Die Kunst ist am Ende dabei raus zu kommen. Deshalb bin ich guter Dinge, dass es die Mannschaft noch hinkriegen wird. Wir sind ein Spitzenteam, momentan aber nicht.“

Ermin Bicakcic appelliert an die richtige Einstellung und Herangehensweise

"Werde nicht zulassen, dass Unruhe reinkommt"

Die ungeklärte Trainer-Frage ist für den in Herten geborenen Deutsch-Türken nicht belastend für die Mannschaft: „Diese Fragen können an den Sportdirektor gestellt werden. Ich bin Führungsspieler, ich werde nicht zulassen, dass durch solche Fragen Unruhe reinkommen, weil der Trainer noch nicht feststeht oder unser Trainer nach Leipzig geht.“

"Dürfen uns nicht so dämlich anstellen"

Für Bicakcic, der meist als einer der wenigen die Probleme stets offen und klar anspricht, ist die momentane Situation Charakter-Frage und Einstellung: „Wir machen uns das Leben oft selber schwer. Wir haben in Stuttgart die Chance gehabt, deshalb ist es umso ärgerlich, dass es nicht zum Sieg gereicht hat. Jetzt tut es gut, dass Länderspielpause ist, um mal in der Bundesliga durchzuatmen.“ Das ständige Punkte verschenken stört den bosnischen Nationalspieler gewaltig: „Wir dürfen uns nicht ganz so dämlich wie in Stuttgart anstellen. Das darf einfach nicht passieren, du musst das Ding dominieren, du hast es in der Hand. Das zweite oder dritte Tor ist uns nicht gelungen, um für klare Verhältnisse zu sorgen. In der zweiten Hälfte haben wir vieles vermissen lassen, den Plan nicht umgesetzt, wie wir es uns vorgenommen haben. Deshalb war es kein unverdienter Punkt für den VfB Stuttgart. Für uns war es ärgerlich.“

Oliver Baumann ärgern die deutlich zu viel verschenkten Punkte

"Müssen unser Spiel über 90 Minuten durchziehen - das ist unser Anspruch"

Auf die Nachfrage, wie es denn ich den restlichen acht Spielen weitergehen soll, sagte der Innenverteidiger: „Am besten wäre natürlich die maximale Punktausbeute. Dafür müssen wir aber unser Spiel von Beginn bis zum Ende durchziehen. Wenn aber in der zweiten Hälfte nicht mehr die Läufe gemacht werden und dadurch die Passpassagen nicht mehr stattfinden, ist es gegen kompakt stehende Gegner wie Stuttgart schwer zu bestehen. Wenn ich unsere Zweikampfquote sehe, frage ich mich, was wir in Stuttgart erwarten? Grunddinge müssen einfach stimmen. Das muss besser werden, weil wir noch einiges Vorhaben in dieser Saison.“ Auf die Frage von bwa-sport.de, woran es liegen könnte, warum es so ist, sagte er: „Vielleicht ist es der Aufwand, den wir durch unser Spiel betreiben, dass sich der ein oder andere eine Pause gönnt. Das darf aber nicht sein. Wir sollten oder sind alle auf einem Niveau, um dies 90 Minuten durchzuziehen. Das ist unser Anspruch.“

"Der Glaube ist immer da, solange die Chance noch besteht"

Den Torjubel nach dem 1:1-Ausgleich von Steven Zuber wollte der Bosnier nicht überbewerten: „Das interessiert mich nicht, ob der jubelt oder nicht. Das ist seine Sache, das ist mir eigentlich schweiß egal. Am besten hätte er in Stuttgart überhaupt nicht jubeln sollen, damit beschäftige ich mich nicht. Wir hätten das Tor viel besser verhindern sollen.“ Die Hoffnung in der Tabelle noch oben reinzurutschen sieht Bicakcic realistisch: „Der Glaube ist immer da, solange die Chance besteht kämpfen wir dafür. In erster Linie müssen wir unseren Weg machen, Punkte einfahren und nichts mehr verschenken.“

"Da hat sich etwas eingeschlichen"

Torhüter Baumann sieht in der zweiten Hälfte die Ursache, dass es wieder nicht zum erhofften Auswärtsdreier reichte: „Klar, war in Stuttgart mehr drin. Nach einer dominanten ersten Hälfte war es in der zweiten Halbzeit zu wenig, deshalb war es am Ende ein gerechtes 1:1.“ Auch Hoffenheims Nummer 1 weiß kein Mittel, was man gegen die seit Wochen immer wieder auftretenden Fehler, die leichtfertig zu Gegentoren führen, tun könnte: „Ich habe auch keine Idee, wie man das abstellen kann. Wir analysieren es, wir trainieren es, aber sind noch nicht drauf gekommen es zu ändern. Wir sprechen alles offen an, aber da hat sich etwas eingeschlichen.“

"Uns fehlt eine zweistellige Punktzahl"

Mit dem bisherigen Ertrag nach 26. Spieltagen ist der Schlussmann alles andere als zufrieden: „Wir könnten weit oben stehen, haben aber viel zu viel Punkte hergegeben, verschenkt, liegen gelassen und Führungen verspielt. Insgesamt fehlt uns eine zweistellige Punktzahl.“

Trainer-Frage zieht sich lange hin

Trotz aller Enttäuschung unmittelbar nach der vermeidbaren Punkteteilung im baden-württembergischen Derby gibt die selbstkritische Sichtweise der Spieler Hoffnung, doch noch in der Saisonendphase die Kurve zu kratzen und in den bevorstehenden Direktduellen gegen die Tabellennachbarn noch nach oben zu klettern. Auch Trainer Julian Nagelsmann ist auf seiner Abschiedstournee nun gefordert, aus der Mannschaft das Letzte heraus zu holen und seinen ehrgeizigen Zielen auch Taten folgen zu lassen. Wer sein Nachfolger wird, ist weiterhin unklar. Nach Aussage der Spieler soll dies im weiteren Saisonverlauf nicht belastend sein und keine wesendliche Rolle spielen. Dennoch wäre es sicherlich wünschenswert in dieser wichtigen Personalie etwas mehr Planungssicherheit zu haben. Diese Frage wollten die in Stuttgart lange ausdauernden Journalisten gerne an die Adresse von Alexander Rosen, dem Hoffenheimer Direktor für Profifußball stellen. Doch dieser war im Stadionbauch der Mercedes-Benz-Arena nicht erreichbar. Gut möglich, dass sich einige Wunschkandidaten noch Zeit lassen wollen, um die weitere Entwicklung der Kraichgauer in Richtung internationalen Wettbewerb auszuloten. Pressesprecher Holger Kliem verwies darauf, dass sobald es etwas zu vermelden gibt, dies zeitnah geschehen wird. Ob in einer oder in zwei Wochen, das vermochte auch er noch nicht zu sagen.

Fotos: Kraichgaufoto

Hoffenheims Trainer-Team gibt Anweisungen

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