Bremen dreht 0:3-Rückstand zum 4:3-Sieg und versaut der TSG ihr Jubiläumsspiel

Hoffe verliert nach Platzverweis völlig die Orientierung und bleibt im Tabellenkeller stecken

Das Jubiläumsspiel zum 125-jährigen Bestehen der TSG Hoffenheim am 5. Bundesliga-Spieltag gegen den SV Werder Bremen wird noch lange in Erinnerung bleiben. In einem wilden und turbulenten Torfestival stand am Ende ein 4:3-Auswärtssieg der Hanseaten, die die Gastgeber nach deren vierten Bundesliganiederlage in Folge noch tiefer in die Krise stürzen. Mit nur drei Punkten aus fünf Partien belegen die Kraichgauer einen enttäuschenden 16. Tabellenplatz. Besonders besorgniserregend ist, wie schon in der vergangenen Saison, dabei das mangelhafte Defensivverhalten. Die aktuell 15 Gegentreffer sind trotz eines überragenden Torhüters Oliver Baumann absoluter Liga-Negativwert.

Bülter (Mitte) traf in der Anfangsphase gleich doppelt für die Kraichgauer

Furioser Start der Hoffenheimer

Dabei spielten die Gastgeber vor 26.018 Zuschauern in der Anfangsviertelstunde wie aus einem Guss. Nach einem Doppelpack von Marius Bülter, der zunächst mit einem Lupfer über Torhüter Michael Zetterer und dann nach gelungenem Dribbling ins lange Eck trifft (5. und 8.) sowie einem Seitfallzieher von Adam Hlozek (12.) schien die Partie frühzeitig entschieden zu sein.

Die Hoffenheim-Ultras beendeten ihren Stimmungsboykott, auch wenn sie erst nach 19:39 Minuten ihre Plätze hinter dem Tor einnahmen

Nach der Fan-Rückkehr folgte das Unheil

Doch gerade in dem Moment, als die Hoffenheimer Ultra-Szene ihren 19:39-minütigen Anfangsboykott (bezogen auf das 1899-Vereinsjubiläum) beendeten, indem sie kurz vor Anpfiff den Stehplatzbereich hinter dem Südkurventor verließen und exakt um 17:50 Uhr wieder auf ihre Plätze zurückkehrten, überschlugen sich die Ereignisse auf dem Spielfeld.

Nsoki (Mitte) kann es nicht fassen, dass er mit Rot vom Platz muss

Nsokis ungeschicktes Verhalten führte zur Wende

Nachdem in der 18. Minute Hoffenheims Stanley Nsoki als letzter Mann im Laufduell Gegenspieler Felix Agu zu Fall brachte und von Schiedsrichter Tobias Reichel zu Recht mit Rot vom Platz gestellt wurde, begann die Bremer Aufholjagd und zugleich die Hoffenheimer Totalverunsicherung. Innerhalb von 18 Minuten konnten die unentwegt anrennenden Werderaner nach Treffern von Julian Malatini (21.) und zweimal Jens Stage (26. und 39.) die Partie ausgleichen. Dem nicht genug, erzielte der Däne im zweiten Abschnitt mit seinem dritten Treffer den 4:3-Endstand.

Jubel bei Bremens Matchwinner Jens Stage (re.) nach einem seiner drei erzielten Treffern

„Der Charakter der Mannschaft war nach dem Platzverweis sehr stark“

Bremens dreifacher Torschütze Jens Stage

Der Matchwinner sagte nach dem Spiel: „Die ersten 10 Minuten waren ganz brutal. Jeder Angriff von Hoffenheim war ein Tor. Dann kam der Platzverweis und danach war der Charakter von der Mannschaft sehr stark.“

Eine Charakterfrage

Apropos Charakter! Dieser wurden bei den Jubiläumskickern nach dem Platzverweis völlig vermisst. Man kann und darf trotz nummerischer Unterzahl nicht derart bei einer 3:0-Heimführung aus der Bahn geworfen werden und sich dermaßen widerstandslos vorführen lassen. Hätte Keeper Oliver Baumann nicht mit einigen Paraden geglänzt, wäre die Partie bereits zur Halbzeitpause deutlich für die Gäste entschieden gewesen.

„Die rote Karte hat natürlich eine Rolle gespielt, aber nicht alleine“

TSG-Doppeltorschütze Marius Bülter

Hoffenheims Doppeltorschütze Bülter sagte nach dem Spiel frustriert: „Die rote Karte hat natürlich eine Rolle gespielt, aber nicht alleine. Wir dürfen danach nicht so passiv werden, stehen defensiv nicht gut und wir müssen die Flanken besser verteidigen. Wenn wir nach zwölf Minuten 3:0 führen, ist es für mich unerklärlich, auch in Unterzahl noch 3:4 zu verlieren.“

Ein engagierter Hoffe-Trainer Pellegrino Matarazzo am Spielfeldrand

Defensivverhalten nicht erstligareif

Es ist vor allem die Art und Weise, wie die TSG leichtfertig Gegentreffer kassiert. Dies ist alles andere als erstligareif. Der 1:3-Anschlusstreffer der Grün-Weißen entstand aus dem Strafraum-Gewusel heraus, wo Malatini aus acht Metern im Liegen den Ball über die Torlinie stochert. Beim 2:3 kann Stage unbedrängt einköpfen und nur wenige Minuten später kommt er beim Ausgleichstreffer aus fünf Metern frei vor dem Tor zum Abschluss. Bei seinem dritten Treffer kurz nach Wiederanpfiff kam Stage nach einer Weiser-Flanke aus fünf Metern frei zum Kopfball. Dabei standen drei Gegenspieler unsortiert und ohne Zuweisung Spalier, ohne den Anschein zu erwecken, hier eventuell eingreifen zu müssen. Die Norddeutschen bestimmten weiter die Partie und man hatte den Eindruck, dass eher das 3:5 als ein möglicher Ausgleich fallen würde.

Eine von vielen packenden Zweikampfszenen einer torreichen Bundesligapartie

Spannende und hektische Schlussphase

Erst in den letzten 25 Minuten gingen die Gastgeber mehr Risiko ein, warfen nochmals alles nach vorne und drängten Werder in die Defensive. Aufregung herrschte in der 67. Minute, als der eingewechselte Valentin Gendrey auf dem Weg zum Tor zwischen zwei Gegenspielern vor dem Strafraum zu Fall kam. Doch Reichel ließ nach dem Einsteigen von Malatini weiterspielen, weil der Argentinier den Ball getroffen hatte. Kurze Zeit später hatte die Matarazzo-Truppe noch Pech, als der Ball nach einer schönen Einzelleistung von Jakob Bruun Larsen von Malatini noch kurz vor der Torlinie zur Seite gegrätscht wurde (81.).

TSG-Keeepr Oliver Baumann war an allen vier Gegentreffern chancenlos

„Mit einem Lucky Punch hätten wir noch das 4:4 machen können“

TSG-Kapitän Oliver Baumann

Für TSG-Kapitän Baumann zählte das beherzte Auftreten seiner Mannschaft in der Schlussphase zu den wenigen positiven Faktoren dieses gebrauchten Spieltages: „Wir haben gewusst, dass wir auch mit zehn Mann nochmal Möglichkeiten bekommen werden. Mit einem Lucky Punch hätten wir sogar noch das 4:4 machen können. Aber es sollte heute nicht sein.“
Schließlich blieb es beim knappen, aber nicht unverdienten Sieg der Grün-Weißen, die den Hoffenheimern ihr Jubiläumsspiel gründlich verdarben.

Die Enttäuschung ist Kevin Akpoguma ins Gesicht geschrieben

„Stanley hätte seinen Gegenspieler alleine aufs Tor laufen lassen sollen“

Kevin Akpoguma zur Schlüsselszene der Partie

Die Enttäuschung war bei Verteidiger Kevin Akpoguma beim Interview in der Mixed-Zone unverkennbar: „Es ist in den ersten Minuten alles aufgegangen. Dann erhalten wir eine unnötige Rote Karte. Das darf nicht passieren, vor allem nicht, wenn man 3:0 führt. Stanley hätte seinen Gegenspieler alleine aufs Tor laufen lassen sollen. Wir haben den besten Torwart in Deutschland auf dem Platz, vielleicht holt er ihn raus, ansonsten steht es halt 3:1. Nach dem Platzverweis fressen wir viel zu schnell die Gegentore. Es ging zu einfach, wir haben zweimal Standards nicht konsequent verteidigt, beim dritten Tor laufen wir in einen unnötigen Konter.“

Nur Zentimeter fehlten zum Hoffenheimer 4:4-Ausgleich in der 81. Minute

„Die Rote Karte in Verbindung mit dem ersten Gegentor hat uns destabilisiert

TSG-Coach Pellegrino Matarazzo

Für TSG-Coach Pellegrino Matarazzo war die Rote Karte ausschlaggebend für die zweite Heimniederlage in Folge: „Wir kommen super ins Spiel, der Matchplan ging auf, die Art und Weise, wie die Jungs auf dem Platz standen, war hervorragend. Die Rote Karte in Verbindung mit dem ersten Gegentor hat uns destabilisiert. Wir waren nicht in der Lage, in Führung in die Kabine zu gehen. Das Gegentor direkt nach der Pause tut dann auch weh, erneut nach einer Standardsituation. Es spricht aber für die Jungs, dass wir bis zum Schluss an einen Punkt geglaubt haben. Sie haben nie aufgegeben.“

TSG-Trainer Matarazzo konnte eine Reihe von Schiedsrichterentscheidungen nicht nachvollziehen

„Es war eine sehr kleinliche Schiedsrichterentscheidung

Matarazzo zur Schiedsrichterleistung

Matarazzo, der seine dritte gelbe Karte sah und an der Seitenlinie phasenweise sehr aufgewühlt und engagiert Kilometer abspulte, haderte nicht zu Untecht auch mit der Schiedsrichterleistung: „Es gab sehr viele Entscheidungen, die 50-50 waren und dann gegen uns gepfiffen wurden. Ich habe die gelbe Karte bekommen, weil ich die Coaching Zone verlassen habe. Wie soll ich den vierten Offiziellen erreichen, ohne die Zone zu verlassen. Es war sehr kleinlich diese Entscheidung.“

Werder-Coach Ole Becker gibt Anweisungen an seine Spieler

„Ohne die Rote Karte wäre das Spiel vermutlich anders gelaufen“

Werder-Coach Ole Becker

Deutlich zufriedener war da sein Gegenüber Ole Werner. Für den Werder-Trainer war es „ein Wahnsinns-Spiel, in dem Hoffenheim so begonnen hat, wie wir es erwartet haben.“ Auch für ihn war der Platzverweis die Wende im Spiel: „Ohne die Rote Karte wäre das Spiel vermutlich anders gelaufen, aber die Jungs haben es in Überzahl dann sehr gut gemacht. Es war sehr viel Spielfreude zu sehen. Aber: Überzahl hin oder her, du musst trotzdem erstmal vier Tore schießen. Deshalb ein großes Lob an meine Mannschaft.“

Dichtes Gedränge im Bremer Strafraum

Statistik:

TSG Hoffenheim: Baumann – Akpoguma, Grillitsch (46. Stach), Nsoki – Kadeřábek (76. Bruun Larsen), Bischof, Tohumcu, Prass (46. Gendrey) – Hložek, Berisha (27. Drexler), Bülter (69. Moerstedt)
SV Werder Bremen: Zetterer – Malatini, Stark (58. Pieper), Jung – Agu, Lynen (76. Alvero), Köhn (76. Deman) – Schmid (76. Topp), Stage – Ducksch (88 Grüll), Weiser
Tore: 1:0 Bülter (5.), 2:0 Bülter (8.), 3:0 Hložek (12.), 3:1 Malatini (21.), 3:2 Stage (26.), 3:3 Stage (39.), 3:4 Stage (49.)
Rote Karte: Nsoki (18.)
Schiedsrichter: Reichel
Zuschauer: 26.018

Mit Kiew und Stuttgart warten zwei schwere Aufgaben

Bereits am Donnerstag, dem 3. Oktober treffen die Hoffenheimer an gleicher Stelle im ersten Heimspiel in der UEFA Europa League um 18:45 Uhr auf Dynamo Kiew. Drei Tage später steht vor der nächsten Länderspielpause das prestigeträchtige Nachbarschaftsduell am Sonntagabend um 19:30 Uhr beim VfB Stuttgart auf dem Programm.
Für die TSG, aber auch Trainer Matarazzo sind es zwei ganz wichtige Spiele, die für den weiteren Saisonverlauf ein entscheidenden Faktor werden können. Dass der Stuhl des TSG-Coaches nach dem schwachen Saisonstart bereits am Wackeln ist, ist längst kein Geheimnis mehr am Elsenzufer.

Fotos: Kraichgaufoto

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