„Es entwickelte sich eine Dynamik, die nicht mehr aufzuhalten war“

Unbefriedigende Bilanz beschleunigte den Wunsch nach einem neuen Trainer

Es war eine faustdicke Überraschung! Vier Spieltage vor Saisonende verkündete die TSG Hoffenheim die Trennung von Trainer Alfred Schreuder. Der Kraichgauer Bundesligist und der 47-jährige niederländische Cheftrainer einigten sich – laut Pressemitteilung – auf die sofortige Auflösung des noch bis zum 30. Juni 2022 laufenden Vertrages. Auch Schreuders Bruder Dick wird als Co-Trainer den Verein verlassen. Als Gründe nannte TSG-Direktor Profifußball Alexander Rosen „unterschiedliche Auffassungen in wichtigen Detailfragen, die eine Zusammenarbeit über das Saisonende hinaus keinen Sinn mehr machen würden“. Schreuder bestätigte, dass „man sich aufgrund unterschiedlicher Meinungen nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen konnte und deshalb die entsprechenden Konsequenzen zog“. Sicherlich waren es verschiedene Themen, die am Ende eine Rolle spielen. Auch wenn aktuell viel Planungsunsicherheit herrscht, waren Personalentscheidungen und Transferfragen ein entscheidendes Reizthema.

Alex Rosen möchte im Saisonendspurt jetzt noch näher an die Mannschaft rücken

Es kam eine Dynamik auf, die nicht mehr zu stoppen war

Bei der heutigen telefonischen Pressekonferenz begründete Rosen nochmals die Entscheidung: „Es ist üblich, nach einer Saison ein Fazit zu ziehen: Wie ist die Ist-Situation, wohin soll es weitergehen, was war gut, was war weniger gut? Wir haben die weitere Ausrichtung besprochen und da kam nach dem letzten Spiel plötzlich eine große neue Dynamik in die Thematik rein, die uns gemeinsam zu dem Entschluss kommen ließ, dass es zur neuen Saison einen neuen Cheftrainer bei der TSG geben wird. In langen Gesprächen haben wir uns dann dazu entschlossen, diesen klaren Schritt schon jetzt zu vollziehen und mit voller Kraft in die letzten Spiele zu gehen.“ Auch wenn es keiner offen ausspricht, der sicherlich überraschte Schreuder reagierte daraufhin und zog die Reißleine. Die Aussagen von Rosen gehen auch in diese Richtung: „Nachdem wir uns festgelegt hatten in die neue Saison mit einem neuen Trainer zu gehen, haben wir im gemeinsamen Austausch uns zur sofortigen Trennung in beidseitigem Einvernehmen entschieden.“

Die Aufgabe war von Beginn an schwierig

Dass Schreuder, der vom niederländischen Spitzenklub Ajax Amsterdam zur TSG stieß, es als Nagelsmann-Nachfolger nicht leicht haben würde, war schon vor Saisonbeginn klar. Nach dem Verkauf einiger Leistungsträger wurde zwar die Vereinsschatulle kräftig gefüllt, doch sportlich hat sich dies auf die spielerische Klasse der Mannschaft nicht gerade förderlich ausgewirkt. Schreuder, der sich vor allem gegen den Verkauf von Joelinton und Nadiem Amiri ausgesprochen hatte, verwies des Öfteren auf den Aderlass im Sommer, der seine Arbeit besonders erschwere. Das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft war bis zuletzt sehr intakt. Schreuder betonte dies immer wieder: „Ob auf dem Platz oder in der Kabine, das Miteinander ist auch in der aktuellen schwierigen Situation sehr gut. Wir haben ein super Klima, alle ziehen gemeinsam an einem Strang.“

Matthias Kaltenbach (re.) wird als Nachfolger von Alfred Schreuder in die letzten vier Spiele gehen

Kritik der Fans nahm zu

Bei einigen Fans hatte sich zuletzt vor allem über die sozialen Netzwerke Kritik am Trainer breitgemacht. Sie bemängelten, dass Schreuder die sportlichen Leistungen und Ergebnisse nur schönreden würde, eine spielerische Entwicklung nicht erkennbar sei und die Spielweise unattraktiv ist. Doch trotz aller kritischen Sichtweisen hat sich die Mannschaft immer in der oberen Tabellenhälfte positioniert. Nach anfänglichem holprigem Start, auch bedingt durch ein schweres Auftaktprogramm, bekam Schreuder das Ruder immer besser in Griff und startete eine Erfolgsserie, die die Mannschaft immer mehr zum Europa League-Anwärter reifen ließ. Vier Spieltage vor Saisonende dieser aufgrund der Corona-Pandemie außergewöhnlichen Saison haben die Kraichgauer noch alle Chancen als Tabellensiebter ins internationale Geschäft einzuziehen. Dass man jetzt auf der Zielgeraden plötzlich einen Boxenstopp einlegt - sprich den Trainer ohne Not wechselt - ist außergewöhnlich und schwer nachvollziehbar. Differenzen, Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Ansichten hin oder her, eine unvermeidbare Trennung hätte man auch nach dem letzten Spieltag am 27. Juni vornehmen können. So kommen womöglich neue, unnötige Unruhen in die Mannschaft, die das Ziel Europapokalteilnahme durch diesen Schnellschuss in Gefahr bringen.

Wieso fand man keinen gemeinsamen Nenner mehr?

Da davon auszugehen ist, dass man sich zu Saisonbeginn bei den Vertragsgesprächen zum dreijährigen gemeinsamen Kontrakt auf eine einheitliche Vereinsphilosophie festgelegt hatte, überrascht es jetzt zu hören, dass man nach nicht einmal einer Saison bereits unterschiedlicher Auffassungen in wichtigen Detailfragen über die weitere Zusammenarbeit über das Saisonende hinaus ist. Was lief da schief, was waren die plötzlichen Auslöser des gemeinsamen Scheiterns? Konnte der Trainer die an ihn gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen?

Man wollte schnellstens für Klarheit sorgen

Am Freitagabend gastiert erstmals Julian Nagelsmann mit seinen Leipzigern in Sinsheim. Schreuder hatte sich schon seit Wochen auf dieses Duell gegen seinen ehemaligen Cheftrainer gefreut. Jetzt wird Co-Trainer Matthias Kaltenbach, unterstützt von Torwarttrainer Michael Rechner, Co-Trainer Analyse Timo Gross, Fußballlehrer Marcel Rapp sowie dem ehemaligen TSG-Profi Kai Herdling im Gemeinschaftsverbund die Mannschaft übernehmen und aus den restlichen Partien gegen Leipzig, Augsburg, Union Berlin und Dortmund versuchen, das Optimale herauszuholen. Für Manager Rosen war es wichtig, schnell für Klarheit zu sorgen: „Nachdem gestern spät am Abend die Entscheidung gefallen ist, haben wir heute so früh und schnell wie möglich offen und transparent dies nach außen kommuniziert. Wir wollten klare Verhältnisse schaffen. Natürlich haben auch die Spieler überrascht reagiert. Dennoch möchten wir klarstellen, dass wir einvernehmlich auseinander gehen. Die heutige Verabschiedung war sehr emotional und verlief im Guten.“

Ein neuer Trainer ist noch nicht in Sichtweite

Der Blick geht nach vorn auf die letzten Aufgaben. Rosen: "Heute und morgen wollen wir fürs Trainerteam eine klare Rollenverteilung festlegen. Auch ich werde noch näher an die Mannschaft heranrücken. Wir alle wollen beim letzten Kapitel einer außergewöhnlichen Saison nochmal gemeinsam das Optimale erreichen. Dabei wollen wir keinen Druck aufbauen, dennoch ist die Ausgangslage klar: Wir wollen befreit darangehen. Die Mannschaft ist sehr ehrgeizig und motiviert.“ Laut Rosen steht der neue Trainer noch nicht fest und es soll auch keine Tendenz geben: "Wir schauen uns auf dem Markt um und nehmen uns die nötige Zeit, um bis zum Trainingsstart für die neue Saison die passende Lösung zu finden."

Fotos: Kraichgaufoto

Alfred Schreuder bei der PK

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