Es wird schwierig im Konzert der Großen mitzuspielen

Viele interessante Fragen stellen sich zur achten Erstligasaison der TSG 1899 Hoffenheim: Wie verkraftet das jüngste Bundesligateam den Abgang seines Superstars Roberto Firmino? Werden sich die Neuzugänge, nach dem Abgang vieler etablierter Spieler, als sinnvolle Verstärkung erweisen und die Mannschaft in ihrer Entwicklung weiter nach vorne bringen? Gelingt es Trainer Markus Gisdol der Mannschaft seine Vorstellung vom modernen Offensivfußball einzutrichtern? Reicht es, nach dem knappen Scheitern der vergangenen Runde, erstmals sich für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren? Fragen über Fragen, die man gerne noch erweitern könnte.

Die Konkurrenz wird es nicht mehr so leicht machen

Nach dem siebten Platz im Aufstiegsjahr, den folgenden drei elften, dann sechzehnten, neunten und zuletzt achten Tabellenplatz ist schwer absehbar, ob sich der neuerliche Aufwärtstrend weiter in der Tabelle noch oben fortsetzen wird. Die Konkurrenz der großen, finanzstarken Traditionsvereine ist gewaltig. Es wird abermals schwer, im Konzert der Großen mitzuspielen.
Um den Top-Sechs aus München, Wolfsburg, Mönchengladbach, Leverkusen, Dortmund und Schalke näher zu rücken, haben die   Verantwortlichen um Trainer Gisdol und Manager Alexander Rosen den Spielerkader umfangreich nach eigenen Vorstellungen und Prioritäten verändert. In einer turbulenten Transfer-Sommerpause gingen 19 Profis, zwölf wurden geholt. Alle Neuzugänge sollen demnach bestens ins Hoffenheimer Anforderungsprofi passen und noch entwicklungsfähig sein.

Mit Powerfußball, dieses Mal konstant über die gesamte Saison hinweg, soll es voran gehen. Eine Weiterentwicklung war in der vergangenen Rückrunde jedoch nicht festzustellen. Womöglich ein Grund, dass man daraus die Konsequenzen zog und mit einer Feinjustierungen versuchte ausbessern. Die Enttäuschung war am Saisonende groß, auch wenn man öffentlich nie die Europa-League-Teilnahme einforderte, als die gute Ausgangslage einer tollen Hin-Serie am Ende leichtfertig verspielt wurde.

Man hat aus den Fehlern gelernt, weiß voran es mangelte

Die eigene Spielidee soll nun wieder vordergründig sein. Daran wurde in der Trainingsvorbereitung intensiv gearbeitet. Die Philosophie des herzerfrischenden, offensiven Angriffsfußballs, mit hohem Pressing, rascher Balleroberung und schnellem Umschaltspiel, soll wieder über allem stehen – und zwar konstant über die gesamten 34 Spieltage. Schon zu Ralf Rangnicks Zeiten hat dies dem Verein seine eigene Identität verliehen, sorgte für so mach spektakuläres Erfolgserlebnis. Der Spieler, der diese Spielweise zuletzt am effektivsten verinnerlichte muss jedoch ersetzt werden – Roberto Firmino. Der Verlust des brasilianischen Ausnahmetalents wird, trotz des warmen Geldsegens, schwer zu ersetzen sein.
Hinsichtlich eines Saisonziels hält man sich, wenig überraschend, im Bundesliga-Dorf vornehm zurück. Seit Gisdol und Rosen im sportlichen Bereich das Sagen haben, ist Bescheidenheit rund ums Trainingszentrum in Zuzenhausen eingekehrt. Wie sehr sich Überheblichkeit und Überschätzung in der Vergangenheit negativ bemerkbar machen können, ist immer noch allgegenwärtig.

Fehlstart im Bereich des Möglichen

Es wird vieles davon abhängen, wie schnell sich die neu formierte Mannschaft findet. Wie lange es dauert, bis ein Rädchen ins andere greift. Aus den vielen, meist torreichen, Testspielen gegen unterklassige Vereine ist wenig über die wahre Leistungsstärke zu sagen. Das Hammer-Auftaktprogramm hat es in sich. Die 0:2 Pokal-Pleite bei den Münchner Löwen sowie die 1:2 Niederlage beim Liga-Start in Leverkusen belegen dies. Nicht einfacher wird es im Heimspiel gegen den großen Favoriten Bayern München sowie anschließend beim euphorischen Aufsteiger Darmstadt 98. Der Liga-Start könnte schon zu einem frühen Zeitpunkt eine große Aussagekraft verspüren und das junge Team in ungewollten Zugzwang bringen.

Was hat sich alles verändert?

Die abgewanderten Offensivkräfte Firmino (FC Liverpool), Anthony Modeste (1. FC Köln) und Sven Schipplock (Hamburger SV) wurden durch Mark Uth (SC Heerenveen/Holland), Kevin Kuranyi (Moskau) und Joelinton (Sport Club Recife) ersetzt. Kevin Volland rückt verstärkt ins Angriffszentrum, wo er mehr Freiheiten geniest. Dafür soll der Freiburger Jonathan Schmid die rechte Außenbahn beleben. Für die Defensiv-Abgänge Andreas Beck (Besiktas Istanbul) und David Abraham (Eintracht Frankfurt) wurden die beiden talentierten Bundesliga-Neulinge Fabian Schär (FC Basel) und Pavel Kaderabek (Prag) geholt.

Starke Defensive

Während die Hintermannschaft noch vor einem Jahr zur „Schießbude der Liga“ betitelt wurde, könnte sie jetzt zum großen Rückhalt werden. Vor der unumstrittenen Nummer eins Oliver Baumann ist die neue Viererkette Kaderabek – Schär – Süle – Kim, nach der noch etwa nötigen zusätzlichen Spielpraxis, stabil zu sein.

Überangebot im Mittelfeld

Für die defensive Mittelfeldposition hat Gisdol mit den international erfahrenen Eugen Polanski, Sebastian Rudy und Pirmin Schwegler drei zuverlässige Abräumer. Fürs offensivere Mittelfeld bieten sich Schmid, Steven Zuber, Tarik Elyounoussi und Nadiem Amiri an. Ein  international vielseitig besetztes Mittelfeld.

Powerfußball fordert Rotation im Angriffszentrum

An vorderster Front dürfte der Konkurrenzkampf ähnlich sein. Volland und Kuranyi, sobald sich dieser wieder an das hohe Tempo der Bundesliga gewöhnt hat, dürften gesetzt sein. Mit Uth, Adam Szalai und Joelinton stehen Alternativen zur Auswahl. Um dem gewünschten offensiven Powerfußball der Marke Hoffenheim dauerhaft gerecht zu werden, sind auf diesen Positionen häufigere Personalwechsel zu erwarten.

Talente in Wartestellung

Mit Benedikt Gimber, Nicolai Rapp, Joshua Mees und Philipp Ochs wurden Nachwuchstalente in den Profibereich befördert. Für sie wird es in erster Linie ein Lehrjahr werden, mit der stillen Hoffnung die eine oder andere Einsatzzeit zu bekommen.

Der Trainer

Es gab lange Spekulationen um die Zukunft von Markus Gisdol. Der 1899-Coach wurde als möglicher neuer Trainer bei RB Leipzig gehandelt, beendete aber im April die vielen Spekulationen um seine Person und verlängerte seinen Vertrag bis 2018. Vor seiner dritten kompletten Saison ist es ihm, zusammen mit Manager Rosen, gelungen, Kontinuität in den Verein zu bringen. Dennoch, Gisdol wird, auch bedingt durch die magere Rückrunde, mit seinem hervorragend besetzten Kader in Bezug auf die Weiterentwicklung erfolgsorientiert bewertet. Da bekanntlich Stillstand eng mit Rückschritt verbunden ist, könnte eine ähnliche Halbserie wie zuletzt Kritik an seiner Person hervorrufen. Etwas, was Gisdol bislang in Hoffenheim verborgen blieb und er nur sehr ungern an sich heranlässt.

Foto: BWA

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