So kann es nicht weitergehen – Gründe und Fakten zur aktuellen Situation:
Nach zuletzt aufsteigender Tendenz mit einem 3:1 in Kiel, 2:2 gegen Frankfurt und 4:3 in Anderlecht folgte nach einer 1:3-Niederlage in Leverkusen ein (nicht unerwarteter) kleiner Rückschlag. Wer nun glaubte, dass sich die abstiegsbedrohte TSG Hoffenheim am 21. Bundesliga-Spieltag im wichtigen Kellerduell gegen den Tabellennachbarn 1. FC Union Berlin wieder etwas Luft verschafft und punktemäßig mit den Hauptstädtern gleichzieht, der sah sich getäuscht. Die Eisernen, die zuvor nur eines ihrer letzten 13 Bundesligaspiele für sich entscheiden konnten und nur zwei Treffer in den vergangenen fünf Partien erzielten, siegten im 6-Punkte-Spiel am Technik-Museum klar und deutlich mit 4:0 (!). Die Gastgeber lieferten vor 20.023 Zuschauern eines ihrer schwächsten Saisonspiele ab, was zur Folge hatte, dass eine Vietelstunde vor Spielende bereits die ersten Zuschauer abwanderten und die zuvor lautstarke Fankurve ihren Support einstellte.
6-Punkte-Spiel zu Gunsten der Berliner
Während die Kraichgauer nun mit 18 Punkten weiterhin auf Platz 15 rangieren, konnten die Köpenicker den Abstand zum Kontrahenten auf sechs Zähler ausbauen. Die Enttäuschung bei den Gastgebern, sowohl bei Spielern, Funktionären als auch Fans war riesen groß. Anstatt des gewohnten ausführlichen Spielberichts möchte bwa-sport.de jetzt eher etwas ins Detail gehen und die aktuelle Situation durchleuchten.

Vier Gegentore und Einstellung des Negativrekordes
Während die Hoffenheimer nach einer äußerst schwachen ersten Hälfte durch einen Treffer von Benedict Hollerbach (24.) mit 0:1 und einem Torschussverhältnis von 5:13 in die Halbzeitpause gingen, zeigten sie sich im zweiten Abschnitt zwar etwas zielstrebiger, fanden jedoch gegen die kompakt stehenden und sehr effizienten Berliner kein Mittel, um den Rückstand zu egalisieren. Nach einem kapitalen Fehlpass durch Kevin Akpoguma erhöhten die Eisernen durch Marin Ljubicic auf 2:0 (61.), eher Andrej Ilic mit dem 3:0 zur Vorentscheidung traf (73.). Der zweite Treffer des besten Spielers auf dem Platz Hollerbach machte kurz vor dem Ende das Hoffenheimer Debakel perfekt (87.).
Dem nicht genug, hat die TSG mit diesem Ergebnis den Negativrekord des VfB Stuttgart eingestellt, nachdem sie nun seit 31-Bundesliga-Heimspielen nie ohne Gegentreffer blieb. Eine nüchterne Bilanz, die eine über längere Sicht unzureichende und schwache Defensive gnadenlos offenbart.

Was ist bloß mit dieser Mannschaft los?
Das enttäuschende Abschneiden der Kraichgauer hat seine Gründe: Die Mannschaft wirkt alles andere als eingespielt, es gibt keine klaren Abläufe, kein erkennbares Spielsystem, keine Führungsspieler, die vorangehen und die Richtung vorgeben. Gegen die Berliner enttäuschten vor allem Führungsspieler, wie etwa Andrej Kramaric, Kevin Akpoguma, Dennis Geiger oder Tom Bischof. Alles Spieler (bis auf Bischof), die schon lange dabei sind und für die zum Einsatz gekommenen Neuzugänge Leo Østigård, Gift Orban, Erencan Yardimci und Bazoumana Toure hilfreiche Stützen sein sollten. Auffallend auch, dass angesichts der drohenden Niederlage kein Aufbäumen erkennbar war, keiner, der mal ein Ausrufezeichen setzte und das Ruder in die Hand nahm.
Selbstüberschätzung oder Realitätsverlust?
Die Mannschaft ergab sich leidenschaftslos und mit wenig Gegenwehr einem effektiven und willensstarken Gegner. Die Berliner haben eindruckvoll gezeigt, wie man im Abstiegskampf zur Sache gehen muss. Aussagen von Hoffenheimer Spielern, wie „man hat den Abstiegskampf angenommen“ und „man ist sich der Situation bewusst“ bereiten nur noch kopfschütteln. Der hochdotierte und sehr teuer zusammengestellte Kader hat (noch) Glück, dass mit Bochum, Kiel und Heidenheim noch schwächere Teams in Konkurrenz sind und trotz der Punkteabstand zu den direkten Abstiegsrängen trotz der fehlenden Resultate nach wie vor vorhanden ist. Die bevorstehenden Aufgaben sind anspruchsvoll, im März geht es gegen die direkten Kontrahenten im Tabellenkeller. Alles Spiele, in denen kein Schönsheitpreis vergeben wird und wo ausschließlich kämpferische Tugenden gefordert sind.

Deutliche Worte von Dennis Geiger:
„Wir geben 90 Millionen aus und stehen auf dem viertletzten Platz“
Dennis Geiger
Hoffenheims Mittelfeldspieler Dennis Geiger war nach Spielende stocksauer und enttäuscht. Der gebürtige Mosbacher, der in der 72. Minute ausgewechselt wurde, ließ im Sky-Interview mächtig Dampf ab: „Mir fehlen die Worte, ehrlich. Das ist schon sehr enttäuschend. Wie wir in das Spiel reinkommen, die ersten 25 bis 30 Minuten, das war unfassbar. Wir laufen nur hinterher nach dem Rückstand. Wir waren komplett verunsichert. Die letzten 15 Minuten vor der Halbzeit sahen gut aus. Wir hatten relativ gute Spiele zuletzt, außer in Leverkusen. Vielleicht wollten wir heute zu viel. Wir wussten, was auf dem Spiel steht. Mit so einer Leistung wird es schwer.“ Bei der Ursachenforschung, angesichts des wild zusammengestellten, riesigen Spielerkaders sagte der 26-Jährige schonungslos: „Es kommt alles zusammen. Wie die Saison angefangen hat, was im Sommer passiert ist, auch wenn es jetzt nicht mehr präsent ist, die komplette Hinrunde war es. Wir geben 90 Millionen aus und stehen auf dem viertletzten Platz. Das kann es eigentlich nicht sein.“ Dabei nahm er aber die Neuzugänge auch aus der Verantwortung: „Für die neuen Spieler, die im Winter kamen ist es schwierig direkt zu performen. Wenn die Mannschaft so spielt, wie willst du da reinfinden.“
Wie reagiert der Verein auf Geigers Kritik?
Fazit: Eine mutige, offene und ehrliche Aussage. Nach der Kramaric-Kritik nach dem 0:5-Debakel in München ist Geiger jetzt der nächste, der den Finger öffentlich in die Wunde legt. Man darf gespannt sein, ob seine Aussage, wie die von Kramaric, vom Verein geduldet und ohne Konsequenzen bleibt. Typen wir Kramaric und Geiger, die Missstände deutlich ansprechen, gibt es in der heutigen Zeit – speziell in Hoffenheim – viel zu wenige. Die Kramaric-Kritik zeigte in den Spielen danach Wirkung, man darf gespannt sein, ob dies jetzt auch bei der Wutrede von Geiger der Fall ist.

Bülters Appell an die Mitspieler:
„So wie wir heute gespielt haben, werden wir kein Spiel mehr gewinnen und absteigen“
TSG-Profi Marius Bülter
Auch Marius Bülter hatte nach Spielende einiges zu sagen: „Es ist ein stückweit peinlich, einen solchen Auftritt hinzulegen in einem wichtigen Spiel. Es liegt einzig und allein an uns selbst. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. So wie wir heute gespielt haben, werden wir kein Spiel mehr gewinnen und absteigen. Wir waren sofort schlecht im Spiel, sind in keine Zweikämpfe gekommen und haben zu viele Fehler gemacht. Nur die zehn Minuten vor der Halbzeit waren gut. In der zweiten Halbzeit haben wir uns aufgegeben, es war gar keine Gegenwehr mehr vorhanden und peinlich am Ende und in der Höhe verdient. Wir müssen die Dinge klar ansprechen, jeder einzelne muss sich hinterfragen, ob er alles dafür tut, um aus der Situation herauszukommen.“
Jetzt heißt es handeln, statt reden
Fazit: Bülter spricht offen aus, was passieren kann, wenn nicht schnellstens der Schalter in die richtige Richtung umgelegt wird. Sein Appell an die Mitspieler ist deutlich. Jetzt heißt es nicht nur zu reden, sondern zu handeln.

Wie reagiert Trainer Ilzer?
Bekanntlich ist der Trainer das schwächste Glied in der Kette. Wenn es über längere Abschnitte nicht läuft, ist in der Regel meist der Trainer schuld. Bei nur drei Siegen und vier Unentschieden aus den bisherigen 16 Pflichtspielen unter seiner Regie ist diese Ausbeute für den letztjährigen Tabellensiebten enttäuschend. Man muss dem Trainer aber zu Gute halten, dass ihm seit seinem Amtsantritt Mitte November des vergangenen Jahres aufgrund der Mehrfachbelastung durch drei Wettbewerbe wenig Zeit für Trainingseinheiten blieb, um aus dem von den sportlich Verantwortlichen bunt und kostspielig zusammengestellten individuellen Kader eine eingespielte Mannschaft zu formen. Ilzer ist, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pellegrino Matarazzo ein offener, kommunikativer und selbstkritischer Trainer. Er stellt sich an Spieltagen nach der offiziellen Pressekonferenz in der „kleinen Presserunde“ bereitwillig den Fragen der regionalen Journalisten und versucht hierbei ohne drumherum reden ausführlich Stellung zu nehmen.

„als Spieler muss man vom Herzen her ein ganz anderes Leben, eine ganz andere Schärfe haben“
TSG-Trainer Christian Ilzer
Ilzer ist kein Schönredner, sucht nicht nach Ausreden und spricht Probleme offen und ehrlich an. So auch nach dem Union-Spiel: „Von der Struktur her haben wir das, was wir uns vorgenommen haben, nicht umsetzen können. Das Strategische war jedoch nur sekundär. Grundsätzlich muss man als Spieler vom Herzen her ein ganz anderes Leben, eine ganz andere Schärfe haben. Dann spielt man die Bälle schneller und exakter, es passieren diese vielen unnötigen Fehler nicht. Mit einer anderen Spannung läuft es ganz anders. Warum dies heute nicht der Fall war, kann ich im Moment auch nicht beantworten“. Auf unsere Nachfrage, wie er das möglichst schnell abstellen möchte, sagte der Österreicher: „Jeder Spieler muss sich bewusst sein, dass er zu allererst sich selbst hinterfragt und nicht nach Ausreden sucht. Im Spiel ist es wichtig, dem Gegner die Stärken zu nehmen, selbst mal vom Start weg dominant aufzutreten.“

„Ich wünsche mir, dass das heute der allerletzte Weckruf für uns war“
TSG-Coach Christian Ilzer
Für die nächste Partie am Sonntag in Bremen erhofft sich Ilzer eine entsprechende Reaktion: „Ich wünsche mir, dass das heute der allerletzte Weckruf für uns war. Es ist wichtig, dass wir jetzt klare Reaktionen zeigen, im Training und im Spiel gegen Bremen. Wir müssen aber zusammen bleiben. Wir müssen schnell Lösungen finden, dass wir nicht so lethargisch auftreten.“
Für Ilzer, der schon vom untersten Amateurbereich bis zu den Profis bis hin zur Nationalmannschaft sehr viele Mannschaften betreute, ist die derzeitige Situation nichts völlig Neues: „Aus meiner Erfahrung weiß ich, wie Mannschaften ticken, wie Erfolg und Misserfolg zusammenliegen. Ohne personellen Zukauf habe ich in Österreich in einer ähnlicher Situation durch Personalentscheidungen wieder die Wende zum Guten geschafft.“
Erreicht Ilzer die Mannschaft?
Fazit: Christian Ilzer ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Er ist ein Kämpfertyp, der motivieren kann. Die Frage stellt sich aber, ob die Mannschaft, die in ihrer Struktur und vom Charakter sehr unterschiedlich zusammengestellt ist, dies auch verinnerlicht, ob sie dem Trainer folgt, bereit ist, die bedrohliche Situation richtig einzuschätzen und auch annimmt? Fußball ist auch Kopfsache und gerade in der aktuell schwierigen Situation ist jetzt eine kluge Herangehensweise mehr denn je gefragt.

Wie bewertet Sportchef Schicker die unbefriedigende Situation?
Zunächst spricht es für den Hoffenheimer Geschäftsführer Sport, dass er sich auch bei Niederlagen, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, auch regelmäßig unangenehmen Journalistenfragen stellt. Nach dem Union-Spiel versuchte Andreas Schicker das 0:4-Debakel nicht schön zu reden: „Es war von der ersten Minute an nicht das, was wir uns alle vorgestellt haben. Wir waren brutal energielos ohne die Mittel zu finden, um gefährlich zu werden. Am Ende sind wir dann brutal zusammengefallen. Es war heute nicht bundesligatauglich. Nach einem schwierigen Start in den Januar haben wir eine gute Reaktion gezeigt, jetzt aber durch dieses Spiel einen großen Rückschlag erlitten.“ Zur Qualität der Mannschaft sagte der Österreicher: „Aus meiner Sicht stellt sich die Qualitätsfrage nicht, vielmehr die Bereitschaft um zum Erfolg zu kommen. Die Spieler haben heute im Gegensatz zum Gegner die willenlose Bereitschaft nicht angenommen.“

„Ich bin mir sicher, dass wir mit dieser Mannschaft am Ende den Klassenerhalt schaffen werden“
Sportchef Andreas Schicker
Auf die Frage, ob die Mannschaft an sich überhaupt funktioniert sagte Schicker: „Im bisherigen Saisonverlauf wurden 34 Spieler eingesetzt. Das ist auch einer äußerst hohen Verletztenmisere geschuldet. Durch viele neu hinzugekommene Spieler konnte noch kein stabiles Fundament gefunden werden. Wir sind bislang noch nie mit der gleichen Startformation aufgelaufen.“ Doch der Sportchef zeigt sich trotz des bisherigen schwachen Abschneidens optimistisch: „Ich bin mir sicher, dass wir mit dieser Mannschaft am Ende den Klassenerhalt schaffen werden. Dass dies nicht einfach wird, ist uns allen klar. Wichtig ist, dass wir zusammen die Situation annehmen und als ein Team uns der Aufgabe stellen. Gegen die nächsten Gegner aus dem unteren Tabellenbereich müssen wir die erforderlichen Punkte holen, um unten raus zu kommen.“
Schicker muss mit dem zurechtkommen, was vorhanden ist
Fazit: Andreas Schicker hält fest zum Trainer. Er weiß, wo der Schuh drückt, wo die Ursachen liegen. Ihm zum Vorwurf zu machen, dass der vorhandene Spielerkader nicht zusammenpasst wäre ungerecht. Schicker musste mit dem Spielermaterial vorlieb nehmen, was er von seinen Vorgängern hinterlassen bekam. In der Winterpause konnte er dennoch für knapp 20 Millionen nachbessern. Jetzt ist es eine Frage der Zeit, wann die Neuen durchschlagen, wann sie sich als Bereicherung erweisen. Schicker ist, wie sein Freund Ilzer ein Kämpfertyp. Ob es die Spieler auch sind, wird sich spätestens am Saisonende am 17. Mai zeigen. Hoffentlich ist es da nicht schon zu spät.

Die Statistik zum Union-Spiel:
TSG Hoffenheim: Philipp – Arthur Chaves, Akpoguma (64. Kadeřábek), Østigård, Jurásek (76. Prass) – Geiger (72. Touré), Bischof – Hložek, Kramarić, Bülter (64. Yardimci) – Moerstedt (46. Orban)
1. FC Union Berlin: Rönnow – Juranovic (76. Trimmel), Doekhi, Leite, Skov (88. Rothe) – Haberer (46. Tousart), Khedira – Skarke (59. Ljubicic), Jeong, Hollerbach – Prtajin (46. Ilic)
Tore: 0:1 Hollerbach (24.), 0:2 Ljubicic (61.), 0:3 Ilic (73.), 0:4 Hollerbach (87.)
Schiedsrichter: Stieler (Sölden, Schwarzwald)
Zuschauer: 20.023

An der Weser geht es weiter
Am nächsten Spieltag gastiert die TSG Hoffenheim beim SV Werder Bremen. Anstoß im Weserstadion ist am Sonntag, den 16. Februar um 15:30 Uhr.

Gedenken an Christian Frommert
Vor dem Anpfiff gedachte die TSG Hoffenheim an den in dieser Woche verstorbenen Mediendirektor Christian Frommert, der nach schwerer Krankheit im Alter von 58 Jahren verstorben ist. Nach einigen rührenden und ergreifenden Worten von Mike Diehl wurde eines von Christians Lieblingslieder „Paradise City“ von Guns N´Roses gespielt. Die Hoffenheimer Fahnenschwenker verzichteten zu Ehren des Verstorbenen vor dem Anpfiff auf das Schwenken ihrer Fahnen auf dem Spielfeld – die Zuschauer im Stadion spendeten Beifall.
Fotos: foto2press und BWA