Julian Nagelsmann vermisst den nötigen Killerinstinkt

Der TSG-Coach würde einige Regeländerungen begrüßen

Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann ist zweifellos „der Star“ beim Kraichgauer Fußball-Bundesligist. Jetzt wird er bereits als möglicher Bayern-Trainer als Nachfolger von Carlo Ancelotti ins Spiel gebracht. Der kometenhafte Aufstieg des 29-jährigen Fußballlehrers, seit seiner Amtsübernahme vor elf Monaten, hat inzwischen auch Begehrlichkeiten im Ausland, speziell in der englischen Premier-League, geweckt. Nagelsmann übernahm die Mannschaft im vergangenen Februar und führte sie aus den tiefen Abstiegsregionen hin zu einem ernsthaften Anwärter auf einen europäischen Wettbewerb. Im Jahr 2016 waren die Hoffenheimer punktemäßig das viertbeste Bundesligateam. Im Interview verrät der gebürtige Landsberger, was er sich von der zweiten Saisonhälfte erwartet.

Was sind Ihre sportlichen Wünsche für 2017?
Julian Nagelsmann:
Ich wünsche mir, dass bei der Mannschaft der Trainingseifer und die akribische Lust am Training weiter anhält. Dann werden wir uns auch weiterentwickeln und in der Rückrunde noch ein paar Punkte holen.

Der TSG-Coach mit taktischen Anweisungen an der Seitenauslinie

Chancenverwertung und Defensivverhalten gilt es noch zu verbessern

Was gilt es dabei noch zu verbessern?
Nagelsmann:
Die Gier und den Willen im Spiel haben wir zwar immer, aber in der Chancenverwertung und im Defensivverhalten gibt es noch einiges zu verbessern. Wir müssen das Konterspiel noch intensiver trainieren, dann bieten sich auch mehr Chancen. Rein statistisch haben wir des Öfteren sehr viele Möglichkeiten gehabt, aber am Ende dann doch nicht gewonnen. Da fehlt es noch am Killerinstinkt. Wenn man mutig mit hohem Ballbesitz fußballerisch viel riskiert, versucht ein attraktives Spiel mit reichlichen Chancen zu kreieren und dann nicht gewinnt, ist es besonders ärgerlich.

17 Gegentoren in 17 Spielen ist nun wirklich kein schlechter Wert.
Nagelsmann:
Das ist zwar richtig, dennoch ist der Gegner sehr oft zu Torchancen in Tornähe gekommen, die statistisch gar nicht erfasst sind. Ich habe während der Winterpause alle Hinrunden-Partien analysiert. Da wir unser Spiel noch dominanter gestalten möchten, dürfen wir dem Gegner nicht zu viele Freiräume bieten. Wir haben noch nicht das Handlungsmustern, das ich mir vorstelle.

Mutigen Fußball spielen lassen

Sie bezeichnen sich selbst als Risikotrainer, ohne jedoch als neues Ziel die Europapokal-Teilnahme öffentlich auszusprechen.
Nagelsmann:
Es ist nicht meine Art, irgendwas plakativ hinauszuposaunen. Ein Trainer zeichnet sich dadurch aus, dass seine Mannschaft mutigen Fußball spielt.

Die Präsentationstafel gehört inzwischen zum festen Bestandteil beim Training

Gedächtnisleistung trainieren und Handlungsschnelligkeit verbessern

Ist der Fußball im taktischen Bereich ausgereizt?
Nagelsmann:
Es wird in den nächsten zehn Jahren keine allzu großen Entwicklungsschritte geben. Jedoch könnten Positionswechsel häufiger möglich werden. Warum soll denn ein Innenverteidiger nicht kurzfristig die Sechser-Position einnehmen oder der Sechser die Spielmacherrolle?

Viele Trainer bedienen sich immer stärker verschiedener Datensammlungen über Spieler. Nagelsmann: Die Fülle der Daten muss man filtern und auf die eigene Spielphilosophie übertragen. Mehr taktische als athletische Daten wären wichtig, man könnte somit die Gedächtnisleistung der Spieler trainieren und die Handlungsschnelligkeit verbessern.

Sinnvolle Regeländerungen vorstellbar

Welche Regelveränderungen würden Sie gerne einführen?
Nagelsmann:
Ich würde auf jeden Fall eine Auszeit einmal pro Halbzeit für jeden Trainer einführen. Zudem bin ich für den Videobeweis. Diesen sollte man aber nicht den Schiedsrichtern überlassen, denn läuft dabei etwas falsch, sind sie die Deppen. Auch sollte es eine Zeitstrafe im Fußball geben. Es kann nicht sein, dass ein und derselbe Spieler mehrere taktische Fouls begeht und er sieht dann irgendwann in der 80. Minute die Gelbe Karte. Aufgrund der immer größer werdenden Spielerkader würde ich zudem mehrere Spielerwechsel begrüßen.

Fan-Entwicklung braucht seine Zeit

In der Hinrunde gab es bereits sieben Trainerentlassungen. Wird die Geduld bei den Vereinen immer geringer, wenn der Erfolg ausbleibt?
Nagelsmann:
Hier spielt oft natürlich der öffentliche Druck eine große Rolle bei den Entscheidungen der Vereinsverantwortlichen. Der Bewertungszeitraum ist sehr kurz geworden. So wird man nach zwei Spieltagen schon zum Trainer des Jahres ausgerufen und nach sechs Spieltagen zum Loser der Saison.

Das Zuschauerinteresse hat der positiven Entwicklung der Mannschaft nicht standgehalten.
Nagelsmann:
Natürlich wäre es schön, wenn unser Stadion immer ausverkauft ist. Aber wir sind noch ein junger Bundesliga-Verein, auch die Fan-Basis braucht Zeit zu wachsen. Wir sind außerdem kein Verein, in einer Großstadt. Das alles ist noch ein Prozess. Aber klar: Nur mit Maloche werden wir unser Stadion nicht füllen, es erfordert auch Entertainment.

 

Fotos: Kraichgaufoto

Artikel teilen

WERBUNG