„Fans möchten doch bitte daheim bleiben“

TSG Hoffenheim empfängt vor leeren Rängen Hertha BSC Berlin

Der 26. Spieltag geht in die Geschichte der Bundesliga ein, denn am Wochenende finden aufgrund der Coronavirus-Ansteckungsgefahr alle Erstligaspiele ohne Zuschauer statt. Laut TSG-Pressesprecher Holger Kliem wird der Personalaufwand rund um das Spiel so gering wie möglich gehalten: „Es werden am Samstagmittag keine 1.000 Personen im Stadion sein. Wir gehen eher von einer höheren dreistelligen Zahl aus.“

Atmosphäre ist sehr gewöhnungsbedürtig

Wie nervig solche Geisterspiele ablaufen, konnte man bereits am Mittwochabend in der Bundesliga-Nachholpartie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln erkennen, bei der jegliche Stimmung und Emotionen fehlten, was sich auch auf den Spielerverlauf auswirkte. Die akustischen Begleiterscheinungen sind sehr gewöhnungsbedürftig. TSG-Trainer Alfred Schreuder kennt diese Atmosphäre ohne Zuschauer aus der Vergangenheit: „Ich habe das schon einmal erlebt mit NAC Breda. Das war zu Beginn natürlich etwas eigenartig. Es hat sich angefühlt wie ein wichtiges Freundschaftsspiel.“

Florian Grillitsch treibt den Ball durchs Mittelfeld vorbei an Berlins Per Skjelbred (li.)

Abschlusstraining in der Arena

Damit die Spieler am Samstagnachmittag im Heimspiel gegen Hertha BSC Berlin um 15.30 Uhr gleich auf Betriebstemperatur sind, bedarf es einer speziellen Vorbereitung und Herangehensweise. So wird der Tabellenneunte heute Nachmittag sein Abschlusstraining in der Sinsheimer Arena absolvieren, um sich an das Gefühl zu gewöhnen vor leeren Rängen zu spielen. Schreuder: „Man muss versuchen, mit der besonderen Situation gut umzugehen. Ich habe mir ein paar Gedanken darüber gemacht, wie wir das Spiel angehen werden.“

„Erwarte einen Gegner, der auf Konter setzt“

Die Berliner sieht der Hoffe-Coach gegenüber dem Hinspiel als deutlich verbessert: „Personell haben sie sich verstärkt, vor allem in der Offensive. Sie können verschiedene Grundordnungen spielen. In der vergangenen Woche haben sie am Ende mit einer Dreierkette gespielt. Ich erwarte, dass sie eher auf Konter spielen werden. Wir müssen auf uns selbst schauen und eine gute Grundordnung haben.“

Hertha liegt der TSG ganz gut

Inwieweit die bisherige Saisonheimschwäche auch gegen die Berliner zum Tragen kommt, ist einer von vielen interessanten Aspekten im Vorfeld. Mit drei Niederlagen aus den letzten vier Heimspielen und insgesamt elf Gegentreffern konnten die Hoffenheimer ihre Fans wenig begeistern. Mit sieben Niederlagen in 13 Heimspielen rangieren sie in der Heimtabelle im unteren Tabellendrittel. Hoffnung auf den ersten Sieg seit dem 1. Februar (2:1 gegen Leverkusen) macht die außerordentlich positive Bilanz gegen die „Alte Dame“ Hertha, nach der die Kraichgauer nur eines der letzten zwölf Bundesligaspiele verloren hatten. Diese Niederlage war eine denkwürdige und datiert vom November 2015, als im Berliner Schneegestöber ein Kopfball-Eigentor von Eugen Polanski die 0:1-Niederlage besiegelte, bei der die Gastgeber in der gesamten Partie nur einen Torschuss aufs Hoffenheimer Tor abgaben. Im Direktvergleich verzeichnen die Nordbadener mit 9 Siegen und jeweils fünf Unentschieden und Niederlagen eine positive Bilanz.

Kuriose und ungewöhnliche Situation: TSG-Keeper Oliver Baumann steht gegen Berlin vor leerer Fankurve

Berliner mit guter Moral

Die Herthaner zeigten in den letzten beiden Saisonspielen eine außerordentliche Moral, holten in Düsseldorf nach 0:3-Rückstand noch ein 3:3-Unentschieden und egalisierten einen 0:2-Rückstand gegen Bremen. Bei beiden Mannschaften drohen jeweils zwei Spielern nach der nächsten gelben Karte eine Sperre. Bei den Gastgebern sind dies Benjamin Hübner (vier gelbe Karten) und Stefan Posch (neun gelbe Karten), bei den Berlinern Vedad Ibisevic und Lukas Klünter (beide jeweils vier gelbe Karten).

Appell an die Fans, vom Stadion fern zu bleiben

Bei der heutigen Spieltags-Pressekonferenz saßen neben Trainer Schreuder und Pressesprecher Kliem auch die beiden TSG-Geschäftsführer Dr. Peter Görlich und Frank Briel auf dem Podium, um sich den Fragen der Medienvertreter zu stellen und selbst über die aktuelle Situation zu informieren. Dabei wurde an die Vernunft der Fans appelliert, am Samstag nicht zum Stadion zu kommen und auch nicht im Außenbereich auf sich aufmerksam zu machen. „Wir appellieren an die Fans: Kommt bitte nicht zum Stadion, bleibt daheim. Das ist nicht im Sinne der Sache. Vorrangiges Ziel ist es jetzt Verantwortung zu übernehmen und die Infektionskette zu unterbrechen", sagte Dr. Görlich. 

Verhalten der Gladbacher war nicht vorbildlich

Sehr kritisch wurde das Verhalten beim gestrigen ersten Bundesliga-Geisterspiel in Gladbach kritisiert, wo sich zahlreiche Fans entgegen der Empfehlung des Gesundheitsamtes und des Appells beider Klubs auf engem Raum vor dem Stadion versammelt hatten. Dass dann auch noch die Gladbacher Spieler nach Spielende die leere Nordtribüne hinaufliefen und den Kontakt zu ihren Fans nach dem Derbysieg über den 1. FC Köln suchten und sich von diesen feiern ließen, ist alles andere als verantwortungsbewusst und dient der Sache überhaupt nicht.

„Sind uns unserer Verantwortung bewusst“

Dr. Görlich gab heute einen kurzen Überblick über die derzeitge Herangehensweise bei der TSG: „Die DFL hat uns ein Empfehlungsschreiben an die Hand gegeben, wer alles zur Durchführung am Samstag im Stadion sein sollte. Die Entscheidung, wer letztendlich kommen darf, haben wir als Veranstalter und Verantwortliche selbst getroffen.“ Sein Geschäftsführerkollege Briel ergänzte: „Wir sind in Verbindung mit dem Gesundheitsamt Rhein-Neckar in Heidelberg und richten uns nach den lokalen Vorgaben und Vorschriften. Wir sind uns der Tragweite und Verantwortung als Bundesligist bewusst und haben uns schon im Vorfeld dazu entschlossen solche Großveranstaltungen aufgrund der hohen Infektionslage für die Zuschauer abzusagen.“  

Extrem dynamische Entwicklung

Auf die Frage, ob sogar ein vorzeitiges Saisonende möglich ist, antwortete Briel: „Es ist eine extrem dynamische Entwicklung. Wir sitzen jeden Tag zusammen und diskutieren die aktuelle Situation. Die weitere Entwicklung ist schwer zu prognostizieren. Ich glaube, dass alle Erst- und Zweitligisten eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung getroffen haben - sowohl angeordnet, als auch eigenständig - die Menschenansammlungen am Wochenende einzuschränken, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Heute kann man noch keine seriöse Prognosen anstellen, wie es weitergehen wird.“

Außerordentliche Mitgliederversammlung

Die Vertreter aller Vereine der Ersten und Zweiten Liga treffen sich am Montag in Frankfurt im Sheraton-Hotel am Flughafen, um bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung die Situation zu besprechen und weitere Vorgehensmaßnahmen zu beschließen. Wie es nach aktuellem Stand weitergehen wird, ist völlig offen. Nachdem die Europäische Fußball-Union Überlegungen anstellt den Spielbetrieb in der Champions- und Europa League wegen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus auszusetzen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, wann der Profifußball hierzulande ruht. Nur den Zeitplan einzuhalten, damit die Bundesligasaison noch über die Bühne geht, damit der Zeitplan nicht mit der der Europameisterschaft kollidiert ist schwachsinnig. In der aktuellen Situation sind Geisterspiele angemessen. Sollte sich die allgemeine Lage aber deutlich verschlechtern, ist ein vorzeitiger Saisonabbruch und eine Verschiebung der EM unumgänglich. Schließlich gibt es wichtigere Dinge als das Freizeitvergnügen Sport, wenn die Gesundheit oder gar das Leben auf dem Spiel stehen.

Fotos: Kraichgaufoto

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